Rede zum Entwurfsbeschluss Bieber+Marburg

Am 03. Juli 2025 stand der Entwurfsbeschluss zum Bebauungsplan „Erweiterung Bieber+Marburg“ auf der Tagesordnung der Stadtverodnetenversammlung. Johannes Rippl, Stadtverordneter unserer Fraktion Gigg+Volt, hielt dazu folgende Rede:

„Es kann sein, dass dieser Sommer der kälteste Sommer ist – der kälteste für den Rest unseres Lebens.

Diese Woche lässt uns am eigenen Leib spüren, wie die Erdüberhitzung weiter eskaliert. Nein, es ist nicht normal, dass es Ende Juni, Anfang Juli mehrere Tage weit über 30 Grad in Gießen heiß wird. Dass die A5 direkt vor Beginn der Sommerferien gesperrt werden muss, weil sie aufplatzt und 20cm hohe Schwellen entstehen. Dass in Frankreich 2.200 Schulen wegen Hitze geschlossen werden müssen.

Es geht aber auch gar nicht nur um ein paar heiße Tage im Sommer. Es geht um einen klaren, wissenschaftlich belegten Trend, der zeigt: Die Sommer werden früher heiß, häufiger extrem – und immer gefährlicher. Noch nie wurden in Deutschland so früh im Jahr so hohe Temperaturen gemessen wie 2025. Die Zahl der Hitzetage über 30 °C hat sich seit den 1950er-Jahren verdreifacht. Das erste Halbjahr dieses Jahres war das trockenste seit Messbeginn vor mehr als 130 Jahren.

Wir müssen hart umsteuern und weil das schon lange absehbar ist, hat dieses Haus 2019 den Beschluss zur Klimaneutralität bis 2035 gefasst.

Sechs Jahre sind also schon rum, nur noch 10 bleiben uns.

Und jede und jeder der gleich mit Ja stimmt, sollte einmal für sich die Frage beantworten:

Was hat sich eigentlich durch 2035Null wirklich verändert?

Das schlechte Gewissen bei den immer gleichen Entscheidungen?

Reicht es wirklich aus, dass man eine schlechte Co2 Bilanz als Rechtfertigung erstellt, aber sonst weitermacht wie bisher?

Wo sind denn die großen Klima-Auflagen, die man B+M machen wollte?

Und nein, die gesetzlich vorgeschriebenen Ausgleichsmaßnahmen sind kein „starkes Signal“, als das es uns der Oberbürgermeister verkaufen will. Sie zeigen lediglich, dass der Wald nicht so wertlos ist, wie gerne getan wird. Sie sind aber keinesfalls ein Ausdruck des hohen Anspruchs der Koa. Sie sind einfach nur Gesetz.

Es tut mir leid, aber es nützt nichts, sich die Rodung dadurch schön reden zu wollen, dass „Die Bäume dort im Wald nicht klimaresilient sein“ wie im Ausschuss gesagt wurde. Glauben Sie wirklich, dass Setzlinge auf einer Wiese bei Büdingen bessere Chancen haben diese Temperaturen und Trockenheit auszuhalten als ein etablierter Wald mit natürlicher Sukzession?

Wald ist mehr als nur ein praktischer CO2-Speicher und austauschbarer Lebensraum für Tiere. Der Wald auf unserem Stadtgebiet speichert Wasser, produziert frische Luft und trägt zu Wolkenbildung und Regen bei. Alles Eigenschaften die wir bei diesen Temperaturen hier bei uns und nicht in Büdingen brauchen. Und zwar jetzt und nicht nach 30 Jahren Wachstum.

Ich finde es dreist, wenn die Dezernentin von einem „Klimagerechten Standort“ und „Klimapolitik mit Realitätssinn“ spricht. Die Realität ist, dass die Erde brennt und Sie den nächsten Teich mit Löschwasser trockenlegen wollen.

 Und trotzdem wollen die Grünen mit dem Ziel der Klimaneutralität in den Wahlkampf gehen. Interessanterweise ohne Jahreszahl in der Pressemitteilung. Vielleicht das erste Zugeständnis an den künftigen Partner CDU, der ja schon im letzten Sommer 2035Null für sich beerdigt hat?

Heute räumt man schon mal gemeinsam die eigentlich endgültigen Außengrenzen von Bieber+Marburg ab, in der nächsten Legislatur dann 2035Null.

Und Sie wundern sich ernsthaft über Politikverdrossenheit? Wo ist da ihr Realitätssinn? 

Nun noch ein paar Worte zu den Details des B-Plans:

Die PV-Anlage wird als „Auflage“ für Bieber+Marburg bezeichnet, als würde man irgendetwas Revolutionäres fordern. Tatsächlich tut man dem Unternehmen hier aber wohl eher einen Gefallen, dürfte sich die Anlage doch sehr schnell finanziell rechnen. Fakt ist aber auch, dass die aktuell vorgesehene Anlage nicht mal den ausgewiesenen Mehrverbrauch durch die Erweiterungen decken wird. Würde man es wirklich mit Auflagen ernst meinen, würde man fordern, dass auch die Oberlichter zur Stromerzeugung genutzt werden müssen. Dass das möglich ist, wurde ja im Ausschuss von den Fachleuten bestätigt. Das ist aber natürlich etwas teurer und das will man B+M dann wohl wieder nicht zumuten. Ebenso wenig wie eine Ertüchtigung des bestehenden Daches oder den Einsatz von Leichtmodulen zu fordern, um auch darauf eine Anlage zu ermöglichen.

Auch beim Verkehr schont man das Unternehmen, obwohl man festgestellt hat, dass ÖPNV- und Radanbindungen schlecht sind. Dennoch darf das Unternehmen selbst entscheiden, dass es kein Mobilitätskonzept erstellen möchte. So werden auch die neuen Mitarbeiter, die man ja wohl einstellen möchte, zum Auto gezwungen. Das ist weder sozial noch nachhaltig.

Die Korrektur der CO2-Bilanz um 75% hat gezeigt, wie schlecht die erste Fassung war. Und die Diskussion zu den fehlenden Erdarbeiten und der erst „alternativlosen“ und dann doch nicht mehr so ganz alternativlosen Stahlbauweise hat gezeigt, dass es nie darum ging, die beste Lösung zu finden, sondern darum den Wunsch des Unternehmens irgendwie zu rechtfertigen. Das Desinteresse an echten Daten zeigt sich auch darin, dass keinem der Experten auffällt, wenn Kilogramm und Tonnen verwechselt werden und der Rückbau eines einzelnen Gebäudes plötzlich 0,5% der Emissionen, die ganz Deutschland in einem ganzen Jahr ausstößt, verursachen soll.

Es wird auch konsequent behauptet, man könne CO2-Emissionen nicht ausgleichen, dabei machen genau das die Stadtwerke weiterhin, obwohl sie per Stadtverordnetenbeschluss aufgefordert wurden, dies zu unterlassen. Ich bin wahrlich kein Fan davon, aber ein Ausgleich von CO2 ist beim Einsatz der richtigen Maßnahmen allemal realistischer umsetzbar als ein Ausgleich von vernichteten Lebensräumen.

Denn der Umweltbericht und insbesondere der Fund der Schlingnatter belegen klar, dass es sich entgegen den Aussagen der Dezernentin natürlich um ein wertvolles Biotop handelt. Aber dem Unternehmen zuliebe beschleunigt man das Umsiedlungsverfahren der bedrohten Tierart gerne von 5 auf 2 Jahre und verzichtet auf die wichtigen Dienstleistungen, die uns der Wald liefert.

Zu dumm, dass der Wald für frische Luft und Wasser keine Rechnung stellt und Gewerbesteuer zahlt, sonst dürfte er vielleicht am Leben bleiben.“