Energiewende - Gießen gemeinsam gestalten Gigg

Energiewende

Einleitung

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Um die Klimaneutralität bis 2035 zu erreichen, müssen die Erzeugung von Strom und Wärme auf nachhaltige Alternativen umgestellt werden, da diese beiden Bereiche für rund zwei Drittel derTreibhausgasemissionen in Gießen verantwortlich sind. Während sich die mit der Stromerzeugung verbundenen Pro-Kopf-Emissionen in unserer Stadt seit 1990 mehr als halbiert haben, sind die mit der Wärmeerzeugung verbundenen Emissionen im selben Zeitraum lediglich um 25 % gesunken und sind für über 42 % des Ausstoßes an Treibhausgasen verantwortlich.


Glücklicherweise ist die Technik für die erforderliche Umstellung längst marktreif und preislich wettbewerbsfähig, bzw. zum Teil auch ohne Berücksichtigung der wahren CO2-Kosten günstiger als die fossilen Vorgänger. Notwendig ist nun eine schnelle Weichenstellung, da einige der erforderlichen Maßnahmen in der Umsetzung einen langen zeitlichen Vorlauf haben. Da der größte Energieversorger der Region, die Stadtwerke Gießen (SWG), zu 100% in ihrem Eigentum steht, hat die Stadt in diesem Bereich jedoch einen großen Hebel, um auch kurzfristig Emissionen zu reduzieren und die Energieversorgung mittelfristig komplett klimaneutral aufzustellen. Dazu müssen die SWG zu einem „Klimaneutralitäts-Dienstleister“ umgebaut werden, der den Ausbau der erneuerbaren Energien vor Ort stärkt und wichtiger Ansprechpartner für die Bevölkerung, für Wirtschaft und Institutionen im Zusammenhang mit Klimaschutzmaßnahmen ist, statt in Kohlestrom, Kompensationsmaßnahmen und “Öko”-Zertifikate zu investieren.


Auch im Energiesektor steht Gigg für eine konsequente Einbindung der Bürger*innen, z. B. durch eine Förderung der Eigenversorgung und durch die Zusammenarbeit mit Bürgerenergiegenossenschaften. Dadurch kann die Stadt das für den Ausbau der erneuerbaren Energien notwendige Kapital aufnehmen und dafür sorgen, dass mehr finanzielle Wertschöpfung in der Region und bei den Bürger*innen verbleibt.

Umbau der SWG zum Klimaneutralitäts-Dienstleister

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Das Geschäftsmodell von Energieversorgern mit einer weitgehend zentralisierten Energieerzeugung wird sich durch die Energiewende sehr stark wandeln. Diesen Wandel müssen die SWG nun für sich gestalten und sich zu einem Klimaneutralitäts-Dienstleister weiterentwickeln, der nicht nur selbst erneuerbare Energien produziert, sondern auch den Gießener*innen hilft, sich künftig vermehrt selbst zu versorgen. Dazu müssen die SWG:

  • ein neues Selbstverständnis entwickeln, das die Erreichung der Klimaneutralität in den Fokusallen Handelns stellt,
  • die Vergütung der Vorstände an den Fortschritt der Erreichung der Klimaneutralitätsziele ausrichten,
  • das Fernwärmenetz vollständig dekarbonisieren z. B. durch den verstärkten Einsatz von Großwärmepumpen, Solar- und Geothermieanlagen, Abwärme, sowie Fluss- und Abwasserwärme,
  • schnellstmöglich, spätestens aber bis Ende 2022 vollständig aus dem Bezug von Kohlestrom aussteigen,
  • den Einsatz von Erdgas in den eigenen Kraftwerken sowie den Ausbau des Gasnetzes beenden,
  • die Ausrüstung der TREAs mit CO2-Abscheidern prüfen, die aktuelle Praxis der Verbrennung von gut recyclebaren gewerblichen Plastikverpackungen beenden und keinen weiteren Ausbau der Müllverbrennung anstreben,
  • stattdessen in die Errichtung von erneuerbaren Energieanlagen und Speichern sowohl innerhalb als auch außerhalb des Stadtgebiets investieren (z. B. auch durch Stromabnahmeverträge/PPAs, jedoch nicht durch den bloßen Ankauf von Zertifikaten bestehender Anlagen)
  • und dabei Beteiligungsmöglichkeiten für Bürger*innen schaffen, um die Akzeptanz der erneuerbaren Energien durch Teilhabe an der finanziellen Wertschöpfung zu steigern,
  • das Stromnetz zielgerichtet erweitern, um die Aufnahmefähigkeit von dezentral erzeugtem Strom zu garantieren,
  • die Energieberatung und das Energie-Contracting bei Unternehmenskunden weiter ausbauen,
  • eigene Mieter*innenstrom-Modelle anbieten, bevor dies von privaten Anbietern übernommen wird, damit auch Mieter von günstigem PV-Strom profitieren können,
  • und Privatkunden bei der Selbstversorgung helfen, z. B. durch Beratung und Vertrieb von Balkon-PV-Anlagen.

Strom aus erneuerbaren Energien

Solarkampagne „Gießen kriegt was aufs Dach“

Um die Stadt zu 100% mit erneuerbaren Energien versorgen zu können, müssen auf möglichst vielenGießener Dächern, egal ob auf Privathäusern, kommunalen oder gewerblichen Gebäuden, Photovoltaik- (PV) und/oder Solarthermie-Anlagen entstehen. Obwohl rund 90 % der Deutschen den Ausbau der erneuerbaren Energien und insbesondere Photovoltaik unterstützen, wird das Potential in Gießen bisher nur zu etwa 5% genutzt. Andere Städte, wie z. B. Freiburg, Stuttgart, Tübingen und Wien (AT,) haben das Potential nicht nur erkannt, sondern treiben dessen Nutzung konsequent voran, z. B. durch entsprechende Bauvorgaben und Förderprogramme. Dies wirkt sich nicht nur positiv auf den Anteil sauberer Energien im Strommix aus, sondern sorgt auch für lokale Wertschöpfung im finanziellen Sinn, inkl. steigender Steuereinnahmen für die Stadt. Gigg setzt sich daher für eine großangelegte Kampagne für den Ausbau von PV- und Solarthermie-Anlagen ein, in deren Rahmen die Stadt:

  • selbst als Vorbild vorangeht und auf allen kommunalen Gebäuden bis Ende 2025 entsprechende Anlagen errichtet. Diese Anlagen müssen dabei so dimensioniert werden, dass die größtmögliche Emissionseinsparung und nicht primär die größtmögliche Wirtschaftlichkeit erzielt wird. Vorab erfolgt eine systematische Prüfung, welche Art der Dachflächennutzung am sinnvollsten erfolgen kann und ob eine Kombination mit Fassaden-Anlagen möglich ist.
  • alternative PV-Ansätze prüft und mit den Hochschulen Testprojekte definiert. Dies könnten z. B. weitere Projekte in der Verbindung von Landwirtschaft und PV, PV-Module in Lärmschutzwänden und an Fassaden, Solarstraßen, sowie eine PV-Überdachung von Teilen des Gießener Rings sein. Durch Stromabnahmeverträge zwischen der Stadt und den Anlagenbetreibern, sollen auch Projekte ermöglicht werden, die nicht von einer Eispeisevergütung profitieren.
  • zur Finanzierung der Kampagne einen „2035Null-Fonds“ auflegt oder mit Bürgerenergiegenossenschaften zusammenarbeitet. So können sich auch Gießener Kleinanleger*innen, die kein Wohneigentum besitzen, am Ausbau der erneuerbaren Energien vor Ort beteiligen und finanziell von der Energiewende profitieren.
  • eine Werbekampagne für den Zubau auf privaten und gewerblichen Dächern umsetzt. Der Bau der Anlagen auf kommunalen Gebäuden und insbesondere auf Schuldächern schafft Aufmerksamkeit für die Photovoltaik in Gießen und ermöglicht es der Stadt, die Bürger*innen und heimischen Unternehmen auf dem Weg zur Klimaneutralität miteinzubinden. Dazu schafft die Stadt eine zentrale (digitale) Anlaufstelle zur Beratung von Interessierten, richtet eine Dachbörse zur Vermittlung von Dächern ein, schreibt Unternehmen und Hauseigentümer*innen mit geeigneten Dachflächen direkt an und bewirbt diese Angebote durch umfangreiche Werbemaßnahmen.
  • eine PV-/Solarthermie-Pflicht im Neubau (privat und gewerblich) einführt, bei der mindestens 50% der Dachflächen mit entsprechenden Anlagen, die einige Mindeststandards hinsichtlich der technischen Parameter (wie z. B. Wirkungsgrade und Recyclingfähigkeit) zu erfüllen haben, ausgestattet werden müssen. Zur Einführung einer solchen Pflicht stellt die Stadt jedoch sicher, dass die Eigentümer dieser Pflicht auch durch eine Verpachtung der Dachfläche nachkommen können, wenn sie selbst keine Anlage errichten können/möchten.
  • beim Neubau von Parkplätzen auf Firmengrundstücken eine Überdachung mit PV-Anlagen vorschreibt und mit den Eigentümern bestehender Parkplätze eine nachträgliche PVÜberdachung vereinbart.
  • sich beim zuständigen Gesetzgeber dafür einsetzt, dass rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, um
  • die PV-Pflicht künftig auch auf Bestandsgebäude ausweiten zu können (auch dort jedoch nur in Kombination mit der Möglichkeit für die Eigentümer, das eigene Dach zu verpachten).
  • PV-Anlagen auch auf denkmalgeschützten Gebäuden zu ermöglichen leichter wirtschaftlich rentable Mieter*innenstrom-Projekte umsetzen zu können.
  • Agro-PV-Anlagen und ähnliche Konzepte im Rahmen des EEG zu fördern
  • zielgerichtete Fördermaßnahmen auflegt, die im folgenden Abschnitt näher beschrieben werden.
Förderbaustein-Katalog zur Steigerung der PV-Nutzung und der Eigenverbrauchsquote

1 Förderung von PV-Anlagen zur 100%igen Nutzung geeigneter Dachfläche

Durch die gesunkenen Einspeisevergütungen im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ist der Eigenverbrauch von selbsterzeugtem Strom deutlich wirtschaftlicher geworden als dessen Einspeisung in das Stromnetz. Daher werden nun häufig Anlagen installiert, die hinsichtlich des Eigenstromverbrauchs optimiert sind und nur einen Teil der Dachfläche abdecken. Mit einem Förderbaustein, der Anreize setzt, Anlagen zu bauen / zu erweitern, die 100 % der geeigneten Dachfläche nutzen, kann die Stadt diesem Marktmechanismus entgegenwirken.

2 Förderung von PV-Fassaden-Anlagen

Obwohl auch Fassaden sehr gut für eine Stromgewinnung per PV-Anlage geeignet sein können, sind entsprechende Anlagen noch eine Seltenheit. Die Stadt sollte geeignete, das Stadtbild prägende Gebäude identifizieren und die Eigentümer*innen von der Errichtung von Fassaden-Anlagen überzeugen, um diese Technologie bekannter zu machen. Darüber hinaus sollte es ein für alle Gießener*innen zugängliches Förderprogramm geben.

3 Förderung der Installation von Balkon-Modulen

Auch viele Balkone sind zur Stromerzeugung per PV-Anlage geeignet, die leicht zu installieren sind und die Stromkosten der Bewohner deutlich senken können, wodurch die Energiewende direkt bei den Bürger*innen ankommt. Ein entsprechendes Förderprogramm würde hier vor allem Personengruppen zugutekommen, die keine eigene Immobilie besitzen, sondern i. d. R. auf weniger Fläche und zur Miete wohnen.

4 Heimspeicher

Netzdienliche Stromspeicher spielen eine wichtige Rolle im Energienetz der Zukunft. Mit ihrer Hilfe können Schwankungen im Stromnetz ausgeglichen und die erneuerbaren Energien optimal eingesetzt werden. Um für eine schnellere Verbreitung im Stadtgebiet zu sorgen, sollte die Stadt auch hierzu ein ergänzendes Förderprogramm auflegen. Es ist noch zu prüfen, ob eine Förderung daran gebunden werden sollte, dass die Stromspeicher durch die SWG zu einem virtuellen Kraftwerk zusammengeschaltet werden können, um damit netzdienliche Leistungen erbringen zu können.

5 Förderung der Baukosten

Die Installation von PV-Anlagen auf bestehenden Dächern kann durch z. B. hohe Gerüstkosten, statische Ertüchtigung, oder die Verlegung von Bauteilen, unwirtschaftlich werden. Eine Unterstützung bei den Kosten, die nicht direkt zur PV-Anlage gehören, kann somit die Schwelle zur Umsetzung einer PV-Anlage senken und sollten daher gefördert werden.

Erschließung weiterer erneuerbarer Energiequellen

Da der Strombedarf in Gießen nicht ausschließlich aus Photovoltaik-Anlagen gedeckt werden kann, müssen weitere erneuerbare Energiequellen genutzt werden. Welche dies sein sollen und wo entsprechende Anlagen entstehen sollen, möchten wir mit den Gießener*innen gemeinsam eruieren, da viele Optionen nicht unumstritten sind. So gibt es beispielsweise ein ausgewiesenes Windvorranggebiet in Fernwald, das auch einige Grundstücke einschließt, die im Besitz der Stadt Gießen liegen. Da es sich hierbei jedoch um Waldflächen handelt, möchten wir mit den Gießener Bürger*innen darüber sprechen, ob das Potential dort genutzt werden sollte oder ob der Schutz des Waldes Vorrang genießt. Ein ähnlich gelagerter Fall wäre ein Schachtwasserkraftwerk an den bereits bestehenden Wehranlagen (E-Werkswehr) in der Lahn. Obwohl die zusätzlichen Eingriffe in die Natur an dieser Stelle minimal wären, stehen sich auch hier Natur- und Klimaschutz gegenüber. Nutzen wir jedoch die auf unserem Stadtgebiet sehr begrenzten Möglichkeiten nicht, muss Gießen mehr Strom importieren und lagert somit negative Auswirkungen aus. Daher sollte Gießen die direkte Beteiligung an der Errichtung von zusätzlichen erneuerbaren Anlagen anstreben, um positiv auf den Ausbau dieser Technologien einwirken zu können. Den bloßen Kauf von Zertifikaten lehnen wir ab, da dieser die kommunale Energiewende ausbremst, ohne dabei Treibhausgasemissionen zu reduzieren.

Energieeffizienz und -einsparung erhöhen

Verschiedene Maßnahmen

Die sauberste Energie ist die, die nicht verbraucht wurde. Gießen muss daher seine Anstrengungen zur Energieeinsparung ausbauen, da durch die Elektrifizierung neuer Bereiche (z. B. Wärme & Mobilität) der Verbrauch elektrischer Energie steigen wird. Wir möchten daher folgende Maßnahmen umsetzen (keine abgeschlossene Liste):

  • Für jedes kommunale Gebäude wird je nach Größe ein*e Energiebeauftragte*r ernannt, die/der für den sorgsamen Umgang mit Energie im Gebäude verantwortlich ist und eine entsprechende Schulung erhält. Die Energiebeauftragten ermitteln Potentiale, klären Gebäudenutzer*innen über Energiesparmöglichkeiten auf und berichten jährlich über die Fortschritte. Die besten Ideen und die größten erzielten Einsparungen werden jährlich prämiert. Alternativ können die finanziellen Einsparungen z. B. direkt den Schulen zugutekommen, in denen sie erzielt wurden, um so ein hohes Eigeninteresse zu nutzen.
  • Alle Angestellten der Stadt, die hauptsächlich im Büro arbeiten, erhalten ein Energieeffizienz- Training, um sowohl am Arbeitsplatz als auch Zuhause den Energiebedarf zu senken.
  • Die Stadt bemüht sich darum, dass auch in Gießen das “Stromspar-Check”-Angebot des Deutschen Caritasverbandes und des Bundesverbandes der Energie- und Klimaschutzagenturen Deutschlands etabliert wird. Das Angebot hat zum Ziel, den Stromverbrauch in einkommensschwachen Haushalten zu verringern, und bietet gleichzeitig Langzeitarbeitslosen über ihre Tätigkeit als Stromsparhelfer*innen die Chance auf einen Wiedereinstieg ins Berufsleben.
  • Bei allen Maßnahmen ist jedoch zu beachten, dass nicht jedes neue energiesparende Gerät automatisch besser ist als sein energiefressender Vorgänger. Nur wenn die Produktionsemissionen ebenfalls beachtet werden, kann eine nachhaltige Entscheidung für oder gegen eine Neuanschaffung getroffen werden. Es geht also nicht darum, blind alte Geräte auszutauschen, sondern auf Basis von konkreten Analysen bzw. Informationen abzuwägen, ob ein Austausch sinnvoll ist.
Energieeinsparungen durch Reduktion der Lichtverschmutzung

Auch in der Stadt Gießen gehen nach Sonnenuntergang viele Lichter an. Immer mehr und immerheller. In Europa sind es jedes Jahr ca. 5 % mehr. Unmengen an Licht strahlen völlig nutzlos in Richtung Himmel ab. Diese „Lichtverschmutzung“ erhöht nicht nur den Energieverbrauch erheblich und lässt den Sternenhimmel verschwinden, sondern hat noch weit gravierende Folgen für unsere Tier- und Pflanzenwelt. Seit rund drei Milliarden Jahren ist der tägliche Hell- und Dunkelrhythmus in den Genen fast aller Organismen fest verankert und steuert fast alle lebenswichtigen Prozesse. Durch die Lichtverschmutzung unserer Städte geraten diese Prozesse ins Wanken. Mit einfachen Mitteln ist es leicht möglich, Urbanität und Ökologie in Einklang zu bringen. Denn Licht gehört auf Straßen und Wege und nicht in den Himmel. Werden bestimmte Vorgaben berücksichtigt, lässt sich ein großer Beitrag zur Reduzierung der nächtlichen Lichtverschmutzung leisten:

  • Intensität: Nutzung geringer Lumen
  • Richtung: Vermeidung von Streulicht
  • Farbe: je gelber desto besser
  • Montagehöhe: je niedriger desto besser
  • Dauer: Vermeidung von Dauerlicht
  • Notwendigkeit: Wegsicherheit und Orientierung statt Dekoration

Auch die Stadt Gießen ist hier in der Verantwortung. Eine sinnvolle und wegweisende Möglichkeit, die Lichtverschmutzung zu reduzieren, könnte die Verabschiedung einer Beleuchtungsrichtlinie sein. Mit so einer Richtlinie sollte sich die Stadt zunächst selbst verpflichten, bei eigenen Beleuchtungsanlagen alle oben genannten Vorgaben zu berücksichtigen. Zugleich sollte die Richtlinie private Bauherren und Planer sowie Geschäftsleuten und Gewerbetreibenden wichtige Handreichungen für eine energiesparende, klimafreundliche Lichtoptimierung bieten. Die Stadt sollte dabei (evtl. auch mit einer Kampagne) für eine freiwillige Mitwirkung sensibilisieren und eine entsprechende Beratung anbieten.

Übrigens: Wir müssen nicht weit fahren, um eine Kommune zu finden, die genau dieses Thema, d. h. den Kampf gegen die Lichtverschmutzung, massiv vorantreibt. Fulda ist hier weltweit eine absolute Vorreiterin und hat auch international Aufmerksamkeit erregt mit ihrer Kampagne „Sternenstadt Fulda“. U. a. hat Fulda bereits eine Beleuchtungsrichtlinie verabschiedet, die dazu beitragen soll, „das Erscheinungsbild der Stadt Fulda vor Verunstaltung und Überinszenierung durch falsch eingesetztes Licht zu schützen“.

Wärme aus erneuerbaren Energien

Umstellung auf eine Wärmeversorgung aus erneuerbaren Energien

Die Emissionsreduktion in der Wärmeversorgung ist die wohl schwierigste Aufgabe, die uns in Gießen und allgemein in Deutschland auf dem Weg zu Klimaneutralität erwartet. Sowohl die hohe Menge an Emissionen in diesem Bereich, als auch die hohe Komplexität und die üblicherweise langen Investitionszyklen machen es erforderlich, in diesem Bereich besonders schnell und entschieden zu handeln. Die Stadt muss daher beratend, regulatorisch, fördernd und durch Investitionen seitens der SWG tätig werden, um sowohl möglichst hohe Einsparungen beim Wärmebedarf zu erzielen als auch die Wärmeerzeugung auf erneuerbare Energien umzustellen. Zunächst muss die Stadt jedoch eine Datengrundlage z. B. in Form eines Wärmekatasters schaffen, aus dem Informationen zu Wärmebedarf, -erzeugung und -verteilung in Gießen hervorgehen, und dieses um eine Potentialerhebung ergänzen, die aufzeigt, wie die Klimaneutralität der Wärmeversorgung am besten erreicht werden kann.

Wärmeeinsparung durch Gebäudesanierung

Für eine klimaneutrale Wärmeversorgung ist es unabdingbar, zunächst den Wärmebedarf durch die Sanierung der Gebäude zu senken. Die Stadt muss auch hier als Vorbild vorangehen und einen verbindlichen Sanierungsfahrplan vorlegen, wann welche ihrer Gebäude saniert werden. Dabei muss mit denjenigen Gebäuden begonnen werden, die einen besonders hohen Wärmebedarf haben, um die größten Emissionseinsparungen zuerst zu realisieren. Zur Finanzierung dieser Sanierungen, sollte die Stadt auch hier auf das Potential der Gießener*innen zurückgreifen und einen Sanierungsfonds auflegen. Darüber hinaus muss die Stadt analog zur oben genannten PV-Kampagne eine ganzheitliche Kampagne entwickeln, um die Eigentümer*innen der Gebäude zu einer Sanierung zu bewegen. Diese würde nicht nur die Sanierungsquote erhöhen und so Emissionen reduzieren, sondern gleichzeitig starke lokale finanzielle Wertschöpfungseffekte inkl. steigender Steuereinnahmen für die Stadt erzielen. Die Kampagne sollte folgende Punkte beinhalten:

  • Eine Quartiersoffensive unter Inanspruchnahme des KfW-Förderprogramms 432, in deren Rahmen mit Hilfe von Sanierungsmanager*innen Quartierskonzepte erarbeitet werden. Dabei muss insbesondere auch ein Fokus auf der seriellen Sanierung liegen und Konzepte wie das Energiesprong-Prinzip (niederländisches Konzept zur seriellen Sanierung mit Hilfe von digitalisierten Bauprozessen und vorgefertigten Elementen) analysiert werden.
  • Eine kostenlose Sanierungsberatung für Eigentümer*innen direkt in der betroffenen Immobilie (z. B. in Form einer “Energiekarawane” wie in Viernheim). Neben den Einsparmöglichkeiten muss hierbei auch darauf geachtet werden, dass die Sanierung selbst nachhaltig (z. B. mit nachwachsenden Dämmstoffen) erfolgt.
  • Eine enge Zusammenarbeit mit dem lokalen Handwerk, inkl. einer Ausbildungs- und Recruiting-Offensive, um die notwendigen Fachkräfte zur Verfügung zu haben.
  • Vernetzung mit bereits bestehenden Angeboten z. B. von Verbraucherzentralen und Energieagenturen.
  • Eine digitale Plattform, die alle wichtigen Informationen zum Thema bündelt und Anschauungsbeispiele aus Gießen inkl. Ansprechpartner*innen aufzeigt.
  • Eine zielgerichtete Werbekampagne, um die Eigentümer *innen auf die Angebote der Stadt hinzuweisen. Der Fokus sollte hier zunächst auf den Eigentümer*innen von besonders sanierungsbedürftigen Gebäuden liegen.
  • Ergänzende Fördermittel, insbesondere bei energetisch sehr schlechten Gebäuden oder kostspieligen Sanierungen wie z. B. bei denkmalgeschützten Gebäuden, mit dem Ziel, Mietsteigerungen zu verhindern.
  • Die Stadt verlangt von allen großen Vermietern eine Klimastrategie, in der dargelegt wird, wie diese ihre Immobilien sanieren und dabei Mietsteigerungen, die über die Einsparungen an Nebenkosten hinausgehen, verhindern.
Dekarbonisierung der leitungsgebundenen Wärmeversorgung (Gas- und Fernwärmenetz)

Um die netzgebundene Versorgung mit Wärme klimaneutral zu gestalten, muss die vorhandene Fernwärmeinfrastruktur schrittweise von einer auf Erdgas und Müllverbrennung basierenden Wärmeerzeugung auf eine Kombination aus nachhaltigen Alternativen umgestellt werden. Für die Grundlast des Fernwärmenetzes sind vornehmlich Technologien einzusetzen, die elektrische Energie direkt zur Wärmeerzeugung nutzen, um Wirkungsgradverluste so gering wie möglich zu halten. Zudem sollte die Nutzung der Abwärme aus alternativen Quellen wie von Industrie- bzw. Gewerbeanlagen, elektrischen Verteilnetztransformatoren, von städtischen Gewässern oder der Kanalisation/Kläranlage geprüft werden. Die Stadt sollte zudem eine flächendeckende Analyse des Geothermie- und des Solarthermie-Potentials im Stadtgebiet vornehmen. Nur in Zeiten, in denen eine direkte Deckung des akuten Wärmebedarfs aufgrund von Engpässen im elektrischen Netz nicht möglich ist, sollten Wasserstoff, Biogas oder synthetisches Erdgas zur Deckung des Bedarfs hinzugezogen werden. Für ausgewählte Fernwärmeabschnitte sollte eine Absenkung der Vorlauftemperatur geprüft werden, um den Energiebedarf und die Energieverluste soweit wie möglich zu reduzieren. Die entsprechenden Netznutzenden müssen bei der möglicherweise notwendigen Ergänzung von technischen Einrichtungen und der zielgerichteten Gebäudesanierung unterstützt werden. Für die gasnetzgebundene Wärmeversorgung müssen flächendeckend Alternativen gesucht werden. In Versorgungsabschnitten, die in räumlicher Nähe zu einem Fernwärmenetzabschnitt liegen, muss der Erweiterung eben dieses Netzes die höchste Priorität beigemessen werden. Solange noch Gas in Anlagen der SWG verbrannt wird und durch die Gasleitungen in Gießen strömt, müssen die SWG transparent machen, woher das Gas stammt und wie dessen Emissionsbilanz von der Produktion bis zum Einsatz aussieht. Fracking-Gas darf dabei nicht zum Einsatz kommen. Alle Möglichkeiten, “klimaneutrales Gas” wie z. B. Bio-Gas aus Reststoffen, grünes Methan, etc. einzusetzen, sind von den SWG mindestens jährlich zu prüfen und offenzulegen. Den Endkund*innen der SWG muss auch im Gas-Bereich ein klimaneutrales Angebot gemacht werden. Für abgeschaltete Gas- und Fernwärmeleitungen sollte geprüft werden, ob diese als Leerrohre für etwaige elektrische Leitungen verwendet werden können.

Förderung beim Austausch einer Verbrennerheizung (Öl, Gastank, Pellets, Hackschnitzel etc.)

Um den Zugang zu klimaneutraler Wärme auch für Bürger*innen sicherzustellen, deren Wärmebedarf nicht leitungsgebunden gedeckt wird, müssen Fördermaßnahmen von Bund und Land gezielt ergänzt und betroffene Bürger*innen darüber direkt informiert werden. Je nach Einzelfall muss zwischen der Förderung eines Anschlusses an das Fernwärmenetz und der Förderung zur Anschaffung einer Wärmepumpe entschieden werden. Um den Wärmepumpen-Einsatz flächendeckend voran zu bringen, ohne dabei das Stromnetz zu überlasten, müssen Strategien zur Steuerung von Kundenanlagen entwickelt und eine besonders “netzdienliche” Betriebsweise über finanzielle Anreize belohnt werden - z. B. können leicht überdimensionierte Wärmespeicher die Flexibilität in der Anlagensteuerung stark erhöhen.

Wärme im Neubau

Neubaugebiete müssen künftig so geplant werden, dass sie sich komplett selbst mit Wärme versorgen können. D.h. entweder durch dezentrale Wärmepumpen und Solarthermieanlagen oder durch ein quartiersbezogenes Wärmenetz, das sich aus erneuerbaren Energien speist. Verbrennerheizungen jeglicher Art werden im Neubau (auch außerhalb von Neubaugebieten soweit umsetzbar) verboten.

Digitalisierung

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Die Digitalisierung bietet auch für die Energiewende zahlreiche Ansätze, damit Energie möglichst effizient genutzt werden kann und das Stromnetz trotz neuer Herausforderungen stabil bleibt. Die SWG sollten daher die Ausrüstung mit Smart Metern im Stadtgebiet deutlich beschleunigen und einen entsprechenden Stromtarif anbieten, der die Stromkunden an den Effizienzgewinnen, die durch die Smart Meter-Nutzung entstehen können, teilhaben lässt. So kann das Zusammenspiel aus dezentralen Stromerzeugern und -verbrauchern wie Wärmepumpen, E-Fahrzeugen, Heimspeichern und PV-Anlagen und dem elektrischen Netz optimiert werden, was bei sichergestellter Stabilität effizientere Erzeugung und Verteilung von Energie ermöglicht.