Mit der knappen Mehrheit ihrer geplanten Koalition haben die Fraktionen von Grünen, SPD und Linken am vergangenen Donnerstag demonstriert, dass ihnen Transparenz im Umgang mit öffentlichen Geldern weniger wichtig ist als die Interessen des eigenen „Spitzenpersonals“. Statt mit der Entlastung des Magistrats zu warten, bis etwas mehr Licht ins Dunkel des umA-Abrechnungschaos gebracht wurde und z. B. die Untersuchungen des externen Beratungsunternehmens Deloitte vorliegen, hat die Koalition gegen den Willen aller anderen Fraktionen entschieden – so viel zum immer und immer wieder postulierten neuen Stil des Miteinanders.
Für Gigg+Volt war es dennoch eine erkenntnisreiche Woche rund um die Revisionsberichte 2017 und 2018. Hervorzuheben war dabei z. B. die vollständige inhaltliche Abwesenheit der Fraktion der Linken in einem Thema, das man doch eher zu deren eigenen programmatischen Schwerpunkten zählen würde – weder in der fünfeinhalbstündigen Sondersitzung des Haushaltsausschusses noch in der Sitzung der Stadtverordneten hatten sich die Vertreter*innen der Partei substanziell zu Wort gemeldet. Noch vor Abschluss der Koalitionsverhandlungen hat sich die Gießener Linke damit von ihrem Wahlprogramm verabschiedet, in dem sie noch „mehr Transparenz bei politischen Vorgängen“ forderte.
Besonders wichtig aus Sicht von Gigg+Volt war jedoch, dass sich der ehemalige Fraktionsvorsitzende der Grünen, Klaus-Dieter Grothe, aufgrund eines Antrags von Gigg+Volt auf Feststellung eines Widerstreits der Interessen gem. Hessischer Gemeindeordnung endlich dazu bemüßigt sah, seine eigene Rolle in den vom Revisionsamt und vom HFWRE-Ausschuss untersuchten Vorgängen zu benennen. Herr Grothe beeinflusst als Vorsitzender des Jugendhilfeausschuss die Entscheidungsfindung über die finanzielle Förderung von freien Trägern, erhält aber gleichzeitig von diesen Trägern Aufträge, die laut Revisionsamt nicht ausreichend dokumentiert sind. Um hier gar keine kritischen Gedanken aufkommen zu lassen, sollte es doch im höchsten eigenen Interesse von Herrn Grothe sein, von sich aus auf vollständige Transparenz zu dringen und diese zu praktizieren. Stattdessen stimmte auch er für die Entlastung des Magistrats und greift somit dem Aufklärungsprozess vorweg.
„Wir hätten uns sehr gewünscht, dass Herr Grothe diese Transparenz bereits von sich aus in der Sondersitzung des Ausschusses an den Tag gelegt hätte und nicht erst aufgrund unseres Antrags in der Stadtverordnetenversammlung“, so Lutz Hiestermann, Fraktionsvorsitzender von Gigg+Volt. „Er hatte in der Ausschusssitzung deutlich Stellung bezogen und so die Diskussion erheblich beeinflusst, ohne dass klar gewesen wäre, dass es zumindest potenziell auch um seine eigenen Abrechnungen geht. Diese Intransparenz ist alles andere als guter politischer Stil!“, so Hiestermann weiter. „Besonders auffällig war bei der Aussage von Herrn Grothe im Übrigen, dass es ihm offensichtlich sehr wichtig war, darauf hinzuweisen, dass er seine Rechnungen nicht privat, sondern gemäß der Gebührenordnung der gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet habe. Dies beurteilen wir so, dass die vielen privaten Liquidationen vor 2017 offensichtlich doch nicht so eindeutig unproblematisch sind, wie Grüne und SPD die Öffentlichkeit gerne glauben machen wollen.“
Auch die Tatsache, dass sich das Rechtsamt der Stadt innerhalb kürzester Zeit in der Lage sah, die Situation aller anwesenden Stadtverordneten und Magistratsmitglieder klar dahingehend zu beurteilen, dass es keinerlei Widerstreit der Interessen gebe und daher der entsprechende Antrag von Gigg+Volt ohne Relevanz sei, hat bei der Fraktion zu großer Verwunderung geführt. „Wir haben daher mit dem heutigen Tag eine Fragenliste an das Rechtsamt geschickt. Damit wollen wir die rechtlichen Hintergründe dieser Aussage, deren konkrete juristische Begründung sowie die Abläufe zwischen dem Stellen unseres Antrags um 18 Uhr und der Aussage von Herrn Grußdorf in der Stadtverordnetenversammlung zwei Stunden später nachvollziehen“, so Satu Heiland, stellvertretende Fraktionsvorsitzende von Gigg+Volt. „Wir können das Urteil nicht teilen, dass es keinen Widerstreit der Interessen geben soll, wenn mindestens ein Stadtverordneter, der selbst seit
Jahren Rechnungen stellt, die über das Jugendamt abgerechnet werden, den Magistrat gegen das Votum des Revisionsamts entlastet – und dies, obwohl noch längst nicht alle Fragen rund um die Abrechnungen geklärt sind.“
Gigg+Volt weist dabei darauf hin, dass die Fraktion in den letzten Wochen verschiedene Gespräche mit Revisions- und Jugendämtern großer Stadtverwaltungen in verschiedenen Bundesländern geführt hat, die selbst Clearingstelle für umAs sind oder zumindest umAs an andere Kommunen abgeben. Bisher konnte kein einziges Amt gefunden werden, bei dem – wie in Gießen – in großem Umfang Privatliquidationen erstattet wurden. Umso weniger verständlich ist das Verhalten der SPD, die mit ihren öffentlichen Statements auch nach der Stadtverordnetenversammlung weiterhin den Revisionsamtsleiter diskreditiert und damit ihren einseitigen und problematischen Kurs der letzten Woche fortsetzt. Und umso gespannter ist die Fraktionsgemeinschaft, welche Erkenntnisse die laufende Untersuchung des Beratungsunternehmens Deloitte mit sich bringt und welche Erkenntnisse sich u. a. aus der Arbeit des Akteneinsichtsausschuss in den kommenden Monaten ableiten lassen werden.
„Das Thema wird uns und die Gießener Öffentlichkeit also noch länger begleiten“, so Lutz Hiestermann abschließend. „Darüber hinaus werden wir die Diskussion um die Revisionsberichte nutzen, das Thema Transparenz in der politischen Arbeit stärker in den Vordergrund zu rücken.“