Am 18. September 2025 stand der Entwurfsbeschluss zum Bebauungsplan „Katzenfeld“ auf der Tagesordnung der Stadtverodnetenversammlung. Johannes Rippl, Stadtverordneter unserer Fraktion Gigg+Volt, hielt dazu folgende Rede:
Wir haben es eben und auch im Ausschuss schon gehört und besprochen. Es gibt viele Argumente, die auf den ersten Blick für ein Rechenzentrum an dieser Stelle sprechen:
• Die gute Lage aufgrund der besonderen Strom- und Internet-Anbindung
• Das Potenzial zur Nutzung der Abwärme für die Dekarbonisierung der Fernwärme
• Neue Arbeitsplätze
• Zusätzliche Gewerbesteuer-Einnahmen
Das Rechenzentrum und dieses Gewerbegebiet bergen durchaus hohes Potenzial für unsere Stadt. Was wir uns aber fragen müssen: Was müsste erfüllt sein, um dieses Potenzial wirklich zu heben? Und was sind die Risiken und Nachteile?
Der zweite Blick auf die Lage zeigt, dass sie alles andere als perfekt ist.
Zum Hochwasserschutz ist eine Aufschüttung um bis zu 4 Meter nötig – 4 Meter, die sich zu den bis zu 30 Meter hohen Gebäudewänden addieren. So entstünde ein massiver Riegel, der eine erhebliche Belastung für Mensch, Tier und die Luftzirkulation darstellt.
Und je nachdem, wie viel der Gesamtfläche wie hoch aufgeschüttet werden muss, sprechen wir von vielen tausend, gegebenenfalls sogar deutlich über 10.000 LKW-Fahrten.
Der zweite Blick auf die Wärmenutzung zeigt, dass nur ein Bruchteil der durch das Rechenzentrum entstehenden Wärme genutzt werden soll.
Auch hier zeigt sich, dass die Lage doch nicht so gut ist wie dargestellt: Das direkt angrenzende Viertel sei laut den Unterlagen bereits über die sich im Bau befindlichen Flusswasserwärmepumpen gut versorgt. Das Rechenzentrum ist also mit Blick auf das Fernwärme-Argument massiv überdimensioniert.
Das wiederum bedeutet, dass sehr viel Wärme in die Umgebung entweichen wird. Diese wurde bei der bioklimatische Analyse aber bisher überhaupt nicht miteinbezogen. D.h. die Wärme-Belastung der angrenzenden Siedlung ist völlig unklar.
Auch beim Thema Arbeitsplätze lohnt ein zweiter Blick. Die angegebene Zahl von 300 Arbeitsplätzen allein im Rechenzentrum ist – wie ich im Ausschuss bereits angemerkt habe – unerklärlich hoch angesetzt. Hyperscale-Rechenzentren haben laut Bundeswirtschaftsministerium typischerweise 0,3 – 0,8 Arbeitsplätze pro MW Anschlussleistung. Selbst im allerbesten Fall würde man so also auf maximal 52 Arbeitsplätze kommen.
Daher war ich wenig überrascht, als am Tag nach dem Ausschuss Herr Beitlich im Anzeiger zu Protokoll gab, dass man insgesamt für das Gewerbegebiet eher mit 500 und nicht mit den in den Unterlagen angegebenen 1.000 Arbeitsplätzen rechnen kann. Über Nacht sind dem Magistrat hier also 500 Argumente verloren gegangen.
Aus den Unterlagen geht zudem hervor, dass man mit einem sehr hohen Pendleranteil unter den Arbeitnehmern rechnen muss. Das heißt: Gießen wird wenig von den Einkommenssteuern, aber viel vom Verkehr und den Infrastrukturkosten sehen.
Ähnlich ernüchternd wird es bei der Gewerbesteuer sein. Das zeigt die Erfahrung mit Hyperscale-Rechenzentren in ganz Deutschland. In Frankfurt tragen Rechenzentren trotz 20% des städtischen Stromverbrauchs beispielsweise nur 1% zur Gewerbesteuer bei. Denn zumeist liegt das Hauptquartier der Betreiber nicht einmal in Deutschland. Hier auf hohe Gewerbesteuern zu hoffen, wäre äußerst naiv – insbesondere da der direkte Zugriff durch die Dreiecksbeziehung mit Revikon nicht möglich sein wird.
Frau Weigel-Greilich hat im Ausschuss eingeräumt, dass es nicht leicht sein wird, den städtebaulichen Vertrag so zu gestalten, dass er die angestrebten Ziele auch rechtssicher erreicht. Das macht deutlich: Der Kardinalfehler wurde schon vor Jahren gemacht, als der Magistrat versäumte, das Areal mit einem Vorkaufsrecht zu belegen und so eine bestmögliche Entwicklung abzusichern.
Unsere Erwartungen an den weiteren Prozess sind klar:
• Die Dimensionierung des Rechenzentrums muss nach dem tatsächlichem Fernwärmebedarf, nicht nach Investoreninteressen erfolgen
• Zur effizienten Abwärmenutzung muss auf eine geschlossene Flüssigkeitskühlung bestanden werden
• Es darf kein Greenwashing mit Strom-Herkunftszertifikaten geben – wir brauchen echten Ökostrom
• Es bedarf verbindlicher Garantien zur Gewerbesteuer und regionalen Nutzung
Wir sind weiterhin offen für dieses Projekt, wenn es wirklich Gießens Interessen dient. Wir werden uns heute enthalten und unsere Bedenken auch im Rahmen der Bürgerbeteiligung als Stellungnahme einreichen und hoffen, dass sie der Magistrat bis zum Satzungsbeschluss ausräumen kann.