Undemokratischer Start der neuen Koalition / Verschiebung der Wahl des ehrenamtlichen Magistrats ohne Rechtfertigung

Die Fraktionsgemeinschaft Gigg+Volt sieht sich durch die neue Gießener Koalition massiv in ihren demokratischen Rechten beschnitten, nachdem die grün-rot-rote Mehrheit die Wahl des ehrenamtlichen Magistrats in der Stadtverordnetenversammlung am vergangenen Donnerstag verhindert hat.

Gigg+Volt war bis zur Sitzung des Ältestenrats Ende Juni davon ausgegangen, dass spätestens seit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags einer Wahl in der Juli-Sitzung nichts mehr im Wege stünde, zumal klar ist, dass auch „die ehrenamtlichen Magistratsmitglieder für die Wahlzeit der Gemeindevertretung gewählt werden“, worauf auch das Rechtsamt in einer Mail vom 1. Juli hingewiesen hatte. Die Wahlzeit der Gemeindevertretung hat am 1. April 2021 begonnen, so dass Gigg+Volt seither einen Anspruch auf einen Platz im ehrenamtlichen Magistrat und damit auf die entsprechenden Informationen hat.

„Das Gerede der Koalitionäre von ihrem neuen wertschätzenden Stil ist schon nach wenigen Wochen vollkommen ad absurdum geführt und offensichtlich ohne jegliche Substanz,“ ärgert sich Lutz Hiestermann, Fraktionsvorsitzender von Gigg+Volt. „Das zentrale Element der Demokratie ist es, dass die Herrschenden von der Opposition kontrolliert werden. Um diese Kontrolle ausüben zu können, ist es zwingend erforderlich, dass die Opposition zeitnah wichtige Informationen erhält. Hierfür hat die Hessische Gemeindeordnung neben der Stadtverordnetenversammlung auch den ehrenamtlichen Magistrat vorgesehen. Aber der neuen Koalition sind solche Gedanken offensichtlich fremd, wenn man die rechtlichen Rahmenbedingungen ausschließlich zum eigenen Vorteil interpretiert und so ganz nebenbei verhindert, dass auch Gigg+Volt ihren Sitz im Magistrat erhält.“

Während Herr Neidel als Bürgermeister abgewählt werden kann, weil es neue Machtverhältnisse im
Parlament gibt, werden gleichzeitig Gigg+Volt ihre Rechte vorenthalten, weil diese der Koalition weniger wichtig sind als die eigenen strategischen Überlegungen. Das ist nicht nur ganz schlechter parlamentarischer Stil, sondern auch absolut undemokratisch – eine Meinung, die auch die anderen Oppositionsfraktionen teilen, die dem entsprechenden Dringlichkeitsantrag von Gigg+Volt zugestimmt hatten.

Stattdessen verweist Herr Grothe von den Grünen darauf, dass es in der Koalition einen schwerkranken Stadtverordneten und es außerdem einen funktionsfähigen Magistrat gäbe. Hierzu ist festzuhalten, dass die Erkrankung eines SPD-Stadtverordneten ein schwerer Schicksalsschlag und eine persönliche Tragödie für den geschätzten Kollegen ist. Dies ändert jedoch nichts an den demokratischen Rechten und Aufgaben der Fraktionsgemeinschaft. Darüber hinaus ist auch der Verweis auf einen vermeintlich funktionsfähigen Magistrat nicht stichhaltig. Es geht nämlich mitnichten darum, ob ein ehrenamtlicher Magistrat funktionsfähig ist (das war der hauptamtliche Magistrat auch, und trotzdem wurde Herr Neidel abgewählt), sondern es kann nur darum gehen, ob er die Verhältnisse der aktuell gewählten Stadtverordnetenversammlung widerspiegelt. Dies gilt umso mehr, als im 12-köpfigen ehrenamtlichen Magistrat immerhin vier Personen vertreten sind, die gleichzeitig Stadtverordnete sind, was eigentlich einen Widerstreit der Interessen darstellt und dazu führt, dass diese vier Stadtverordneten mehr Informationen erhalten als ihre Kolleginnen und Kollegen in der Stadtverordnetenversammlung. Geht es nach der Koalition, könnte dieser Zustand noch bis zur Sitzung im November und somit achteinhalb Monate nach der Wahl anhalten, da erst dann die Postenschieberei rund um die OB-Wahl ein Ende finden wird.

Darüber hinaus moniert Gigg+Volt die fehlende Kommunikation der Koalition zu dem Thema. „Es kann nicht sein, dass wir über die Nicht-Wahl erst auf eigene Nachfrage in der Sitzung des Ältestenrats erfahren und offensichtlich niemand in der Koalition auf die Idee kommt, in einem Vorgang, der unsere demokratischen Rechte massiv betrifft, mit uns vorab den Kontakt zu suchen,“ so Frank Schuchard, stellvertretender Fraktionsvorsitzender von Gigg+Volt. „Auch wenn sich eine Frist zur Wahl der Beigeordneten in der HGO nicht findet, ist doch klar, dass die Wahl des ehrenamtlichen Magistrats nicht – je nach Gutdünken einer Koalition – auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden kann.“

Gigg+Volt wird das Thema auf verschiedenen Ebenen aufgreifen. So wird es in diesem Kontext weitere konkrete Anfragen an den Gießener Magistrat zur rechtlichen Beurteilung der Situation geben, die dann einer Prüfung durch die Kommunalaufsicht beim RP Gießen zugestellt werden. Darüber hinaus plant die Fraktion, das Problem auch auf Landesebene zum Thema zu machen, da es sich offensichtlich um einen Fehler in der HGO handelt, der aus Sicht von Gigg+Volt dringend durch eine entsprechende Fristsetzung zur Wahl der Beigeordneten beseitigt werden muss.
Unabhängig davon behält sich Gigg+Volt auch weitere rechtliche Schritte vor, um die Wahl des
ehrenamtlichen Magistrats möglichst zeitnah durchführen zu lassen.