Verkehrswende - Gießen gemeinsam gestalten Gigg

Verkehrswende

Die Ausgangslage

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Der Verkehr ist weltweit einer der Hauptverursacher von Treibhausgasen. Auch in Gießen trägt er mit rund 35 % zu den entsprechenden Emissionen der städtischen Klimabilanz bei. Seit fast 30 Jahren haben sich dabei die Pro-Kopf-Emissionen der Gießener*innen im Verkehrsbereich mit 2,5 T CO2 pro Jahr nicht mehr positiv verändert. Dementsprechend wird auch heute der Verkehr in Gießen weiter durch den motorisierten Individualverkehr (MIV=Auto) dominiert; für 6 von 10 Wegen die in Gießen stattfinden wird ein Auto genutzt. Diese Einschätzung und die folgenden Werte ergeben sich aus der Auswertung verschiedener Datenquellen wie u. a. dem Bericht „Klimaneutrales Gießen 2035“ (Stadt Gießen, 09/2020) oder der Untersuchung „Mobilität in Deutschland“ (MiD 2017). Die rund 90.000 Gießener*innen tragen mit ihren jährlich ca. 50 Mio. Autowegen etwa gleich viel zur Gesamtzahl von rund 100 Mio. Autowegen bei, wie die „Gießen-Besuchenden“ (Pendler, Studierende, Schüler*innen, Einkaufende, ...). Mit einer durchschnittlichen Weglänge von 10 – 12 km je Autofahrt kommen damit aber rund 1.100 Mio. PKW-km zusammen, die (bei 140g CO2 je Auto-km) CO2-Emissionen von gut 150 Tsd. Tonnen pro Jahr verursachen.

Das Ziel 2035Null

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Die Selbst-Verpflichtung der Stadt Gießen, die CO2-Emissionen im Stadtgebiet bis 2035 auf den Wert Null abzusenken, betrifft natürlich auch die oben beschriebenen verkehrsbedingten Emissionen. Daher muss es in Gießen eine massive Verkehrswende geben – weg vom PKW-dominierten Verkehr, hin zum Umweltverbund (vor allem zum Zufußgehen und Radfahren, Bussen und Bahnen sowie Carsharing).

Klar ist dabei jedoch auch, dass es sich hierbei um eine große Herausforderung handelt, wie das folgende Szenario verdeutlichen soll:

Selbst wenn für Gießen und Umgebung das ehrgeizige Ziel erreicht werden würde, die heutige PKW-Zahl bzw. damit verbundenen Fahrten auf die Hälfte abzusenken, muss man annehmen, dass von dieser verbleibenden Hälfte nur ein Teil elektrisch betriebene PKW wären und es weiterhin eine große Zahl diesel- oder benzinbetriebener PKW (die in den nächsten Jahren auch in Gießen und Umgebung immer noch weiter ver- und gekauft werden) gäbe. Es ist daher leider davon auszugehen, dass es 2035 (in 14 Jahren) immer noch CO2-Emissionen aus motorisiertem Verkehrsgeschehen (Autos, ÖPNV, ...) geben wird. Die Konsequenz aus diesen Annahmen ist eindeutig: Die verbleibenden Emissionen des Verkehrs können bilanziell nur durch Kompensationsmaßnahmen auf Null gestellt werden.

Aber klar ist auch, wie groß dieser Hebel sein muss: Durch die anzustrebende Halbierung des aktuellen Auto-Bestands bzw. den Wegfall/Ersatz der damit verbundenen Fahrten würden immerhin schon rund 100.000 t CO2 pro Jahr vermieden. In der Konsequenz bedeutet dies, dass in den nächsten 15 Jahren jedes Jahr die Emissionen um durchschnittlich 6.700 t CO2 abgesenkt werden müssen, indem der PKW-Verkehr reduziert wird, u. a. durch ein „Umsteigen“ auf Zufußgehen, Radfahren oder Bus/Bahn-Nutzung.

Am Ende der nächsten Legislaturperiode im März 2026 würde dann der CO2-Ausstoß des PKW-Verkehrs bereits um rund 25.000 t niedriger liegen als heute und die Zahl der PKWs in Gießen und Umgebung wäre um rund 13.000 niedriger als heute.

Der Weg...

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Inzwischen gibt es eine Vielzahl von nationalen und internationalen Beispielen für geeignete und wirksame Maßnahmen, mit denen die genannten Veränderungen erreicht werden können – auch und gerade auf kommunaler Ebene. Davon seien hier exemplarisch genannt die Wiedereinführung der Straßenbahn in Regensburg oder diverse Projekte aus der Liste der AGNH (Nahmobilität Hessen). Dabei kommt es immer auf die kontinuierliche Wirkungsmessung und die Mitwirkung aller Bürger*innen („gemeinsame Verpflichtung“) an. Als eine Methode der Wirkungsmessung sollte für das Gießener Straßennetz ein elektronisches Mess-System zur anonymen Verkehrsdatenerfassung (Zählsystem) für PKW-Fahrten eingerichtet werden, wie es teilweise auch für den Radverkehr schon sinnvoll diskutiert wird.

Für alle zu treffenden Maßnahmen sollen die folgenden Prinzipien gelten:

  • mehr Flächengerechtigkeit durch mehr Platz für Fuß- und Radverkehr und weniger Platz für den ruhenden und fahrenden PKW-Verkehr
  • deutliche Verbesserung des ÖPNV-Angebots (häufigere Fahrten, bessere Vertaktung etc.)
  • Erhöhung der Sicherheit im Straßenverkehr u.a. durch eine Verlangsamung des KFZ-Verkehrs, baulich getrennte Fahrradspuren und umgestaltete Kreuzungsbereiche
  • Reduzierung der Umweltbelastungen durch den Verkehr (weniger Lärm, geringere CO2- und Feinstaub-Emissionen, weniger Abgase/Gestank)
  • barrierefreie und sozial ausgewogene Gestaltung des Verkehrssystems
  • Umschichtung von öffentlichen Mitteln weg von der Förderung des PKW-Verkehrs, hin zum Umweltverbund

Die o. g. Ziele der Reduzierung der verkehrsbedingten Emissionen (inkl. jährlich definierter Zwischenziele) sowie die vorstehenden Grundsätze sollen auch durchgängig bei den Festlegungen des künftigen Verkehrsentwicklungsplans (VEP) für die Stadt Gießen gelten. Der VEP wird mindestens alle Maßnahmen aus der folgenden Auflistung enthalten, soweit diese im Rahmen eines praktikablen und gut zugänglichen Bürger*innen-Beteiligungsverfahrens Zustimmung finden; weitere Vorschläge und Maßnahmen werden im genannten Verfahren entwickelt.

Um die genannten Ziele (insb. CO2-Neutralität) zu erreichen, kommen viele Maßnahmen in Frage. Für die im Folgenden genannten Ansätze möchten wir uns besonders einsetzen, die Liste ist jedoch nicht als abschließend zu betrachten. Die Auswahl reicht von leicht umzusetzenden, besonders schnell wirksamen bis hin zu großen und nur mit erheblichem (auch finanziellen) Aufwand umzusetzende Maßnahmen. Die Maßnahmen sind dabei in fünf Kategorien aufgeteilt.

Fußverkehr

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Fußgänger*innen sind im Vergleich zu anderen Verkehrsteilnehmenden oft strukturell unterlegen, dabei werden von Gießener*innen schon rund 22 % aller zurückgelegten Wege zu Fuß bewältigt. Im städtischen Kerngebiet liegt dieser Wert tendenziell noch etwas höher. Der Anteil der Wegstrecke, die dabei zurückgelegt wird, liegt mit rund 3 % natürlich deutlich niedriger, da die Strecken oft kürzer sind. Dabei ist Zufußgehen klimaneutral und hat viele weitere Vorteile, wie z. B. die Förderung der persönlichen Fitness, eine intensivere Wahrnehmung der Umgebung und die erleichterte Kommunikation mit Mitbürger*innen; auch wenn diese Vorteile in Gießens verstopften, lauten und nach Abgasen stinkenden Straßen heute häufig noch nicht wirklich wahrgenommen werden können.

Ziel muss es also sein, die Bedingungen für den Fußverkehr so zu verbessern, dass der Anteil der zu Fuß zurückgelegten Strecken sich massiv erhöht. Laut dem Bericht “Klimaneutrales Gießen 2035” müsste sich der Anteil der zu Fuß zurückgelegten Strecke allein durch Gießener*innen auf rund 11,5 % vervierfachen.

Erhebliche Verbesserungen für den Fußverkehr wollen wir u. a. erreichen durch:

  • Die Einrichtung fußgängerfreundlicherer Ampelschaltungen mit deutlich kürzeren Wartezeiten für Fußgänger*innen bis zur nächsten Grünphase, statt bei der Überquerung von Straßen auf zwei Grünphasen warten zu müssen, wie es beispielsweise am Berliner Platz der Fall ist. Auch wollen wir an allen großen Gießener Kreuzungen Ampelschaltungen einrichten, an denen Fußgänger*innen auch in einem Zug diagonal die Straße kreuzen können (Rundum Grün).
  • Die grundlegende Verbesserung der Qualität, sich in Gießen als Fußgänger*in im Freien zu bewegen. Neben verschiedenen Punkten der Stadtentwicklung bzw. -planung wie z. B. einer Einschränkung von Gehwegparken im gesamten Stadtgebiet ist für uns die flächendeckende Einrichtung von Sitz-/Ausruhgelegenheiten insb. innerhalb des Anlagenrings und entlang von „Flaniermeilen“ sehr wichtig.
  • Die Schaffung neuer bzw. die Erweiterung bestehender Zonen in der Gießener Kernstadt, die alleine den Fußgänger*innen vorbehalten sind. Insbesondere wollen wir dies im Bereich innerhalb des Anlagenrings verwirklichen, um die Innenstadt schrittweise autofrei zu gestalten. Autofrei bedeutet dabei konkret, dass nur noch Anwohner*innen, der Lieferverkehr zu bestimmten Zeiten sowie mobilitätseingeschränkte Menschen mit dem PKW in diesen Bereichen fahren dürfen. Daneben wollen wir aber auch den jetzt schon vergleichsweise fußgänger*innen-freundlichen Bereich innerhalb des Anlagenrings durch Schaffung von Flaniermeilen erweitern und attraktiver gestalten. Besonders dafür in Frage kommen z. B. die Wege vom Seltersweg in die untere Frankfurter Straße hinein oder die Verlängerung des Neuenwegs und der Neuen Bäue über den Berliner Platz bis zum Ludwigsplatz.
  • Verbesserung der Beschilderung (Hinweistafeln mit Angabe von Wegezeiten) der Wege zu wichtigen Orten in Gießen, um diese einfach zu Fuß auch ohne genauere Ortskenntnis auf kurzem Weg zu finden. (Klinikum, Uni-Standorte, Rathaus, Behörden, Geschäfte, Freizeitangebote, …)

Radverkehr

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Als (fast) klimaneutrales Verkehrsmittel gehört die massive Ausweitung des Fahrradfahrens zu den wichtigsten Ansätzen auf dem Weg zu klimaneutraler Mobilität. Für eine deutlich höhere Priorisierung des Fahrradverkehrs in Gießen gibt es viele gute Argumente, die von der aktuellen Politik zwar gerne benannt, aber nicht deutlich genug vertreten werden.

Das große Potential des Radverkehrs zur Verbesserung der Umwelt- und Klimasituation in Gießen wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass z. B. der Anteil des motorisierten Verkehrs an der Belastung mit Stickstoffdioxid (NO2) in Gießen bei 70%liegt.

Im Bericht „Klimaneutrales Gießen 2035“ wird eine Umschichtung von 50% des motorisierten Individualverkehrs der Gießener*innen auf das Fahrrad bis 2035 als notwendig beschrieben, um das Ziel 2035Null zu erreichen. Bezogen auf die Verkehrsmittelwahl (Wegeanteil) soll der Anteil des Radverkehrs von 2,9% auf 36,7% steigen, also mehr als verzwölffacht werden. Diese extreme Veränderung kann nur mit weitreichenden Anstrengungen von Politik und Stadtgesellschaft gelingen. Der Wechsel vom Auto zum Fahrrad wird somit zu einem der wegweisendsten Faktoren Richtung klimaneutraler Mobilität.

Verbesserungen - insb. der Sicherheit - für den Radverkehr wollen wir u. a. erreichen durch:

  • Die Entwicklung eines dichten Netzes von Fahrradstraßen. Dieses soll nicht auf Nebenstraßen beschränkt bleiben, sondern auch auf den mehrspurigen Hauptverkehrsstraßen, baulich vom KFZ-Verkehr getrennt, ausgebaut werden. Bei der Planung besonders zu berücksichtigen sind die „Schulwegrouten“, um Kindern einen sicheren Schulweg zu ermöglichen und den „Eltern- Taxi“-Verkehr zu reduzieren. Als nächste Vorhaben sollten folgende zeitnah umgesetzt werden:
  • Auf dem Anlagenring pro Fahrrichtung eine Fahrradstraße, mit von dort sternförmigen angelegten Verlängerungen zu den Stadträndern.
  • Die Fortführung der Fahrradachse in Verlängerung der Goethestraße über den Altenfeldsweg/Heegstrauchweg.
  • Dazu eine Fahrradstraßenverbindung entlang des Klingelbachwegs mit einem Durchstich zum Erdkauterweg mit der Fortführung über die Wilhelmstraße und Ohlebergsweg.
  • Die Ausweisung der neu einzurichtenden und der bestehenden Fahrradstraßen mit dem Schild „Anlieger frei“ anstelle von Kfz-frei. Auch bedarf es weiterer baulicher bzw. rechtlicher Straßenplanungen, um den Kfz-Anteil möglichst niedrig zu halten.
  • Den Ausbau von sicheren und komfortablen Fahrradabstellplätze n, auch in Wohngebieten mit hoher Wohndichte. Diese sollten je nach Standort überdacht, mit e-Ladestruktur für Pedelecs versehen und auch für Lastenräder geeignet sein.
  • Einrichtung von Microdepots, um beispielsweise die Fahrradnutzung beim Einkaufen in verschiedenen Geschäften zu erleichtern. Bereits 2018 wurden täglich rund 12.000 Pakete im Gießener Stadtgebiet ausgeliefert (GCP, 2018 S.56). Microdepots können auch eine Antwort auf den zunehmenden Versandhandel sein. Hierbei werden Paketdepots in Immobilien oder Containern eingerichtet. Diese werden dann von Lastenrädern oder mit fußläufigen Transporthilfen genutzt, um Pakete auf den letzten km ans Ziel zu bringen.
  • Den Ausbau bestehender Lasten-/Rad-Verleihsysteme:
  • Kooperationen mit den Hochschulen und Nextbike, orientiert an den Erfahrungen der TINK-Modellprojekte (Transportrad Initiative Nachhaltiger Kommunen) in Konstanz und Norderstedt erweitern.
  • Unterstützung des Allmende Lastenrad Projekts “das ALLrad" bei der Anschaffung und Wartung von Inklusions- und Lastenrädern. Unterstützung eines zivilgesellschaftlich organisierten, funktionalen und kostenlosen Angebots.
  • Beschleunigung von Planungen, um Fahrradschnellwege ins Umland auszubauen, insbesondere Richtung Wetzlar, Marburg, Friedberg und in die östliche Umgebung Gießens, um das Pendeln per Rad zu vereinfachen. In kommunalen Unternehmen soll den Mitarbeitern die Möglichkeit gegeben werden, sich umzuziehen und zu duschen. Gerade die Hochschulen und großen Arbeitgeber sollten hier in den Fokus genommen werden.
  • Beibehaltung der oberirdischen Querung der Bahntrasse an der Wilhelmstraße / Erdkauter Weg. Die geplante Ersetzung der vorhandenen oberirdischen Querung durch einen Tunnel mit jeweils einer langen Rampe in beide Richtungen, auf der die Fahrräder geschoben werden müssen, ist unsinnig, teuer und insbesondere für Frauen gefährlich. Während an der Ostanlage viel Geld für eine oberirdische Verkehrsführung ausgegeben wurde, soll an dieser wichtigen Tangente nun eine neue unterirdische Trasse geplant werden.
  • Verstärkte Öffentlichkeitsarbeit zur Bewerbung des Radverkehrs, z. B. durch „Neubürger Radtouren“, die Neu-Gießener*innen die besten Wege durch die Stadt zeigen, durch Testzeiträume von Lastenrädern und durch Angebote insbesondere im Schulumfeld.

Damit der Umbau zu einer fahrradfreundlichen Stadt tatsächlich gelingen kann, ist zudem eine ausreichende Ausstattung der zuständigen Behörden erforderlich. Hierbei fordern wir für die Stadt Gießen, sich an die Empfehlungen des “Nationalen Radverkehrsplan 2020” zu halten, der vorschlägt, 18 bis 19 € pro Haushalt in Gießen jährlich einzusetzen. Diese zusätzlichen finanziellen Mittel sollen eine adäquate Personalausstattung für die Planung und Umsetzung von Vorhaben gewährleisten, aber auch für Öffentlichkeitsarbeit, Information und Beratungen zur Verfügung stehen.

ÖPNV

(Busse und Bahnen)

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Auch der ÖPNV spielt für die Erreichung der Klimaziele eine große Rolle, gerade aufgrund der vielen Pendler*innen, die teilweise aufgrund ihrer weiten Strecken nicht (immer) nach Gießen mit dem Rad pendeln können oder wollen. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass auch die verschiedenen Angebote des ÖPNV (Busse und Bahnen) CO2 emittieren, wenngleich die Bilanzen hier viel besser sind als beim motorisierten Individualverkehr (Auto) – deshalb sind auch dafür Kompensationsmaßnahmen unverzichtbar. Laut dem Bericht “Klimaneutrales Gießen 2035” müsste sich in einem klimaneutralen Gießen der Anteil der mit dem ÖPNV zurückgelegten Strecken der Gießener*innen auf 30,5% erhöhen; dies stellt mindestens eine Verdreifachung der Leistung von heute dar. Dabei sind die Prioritäten insbesondere auch auf den schienengebundenen ÖPNV zu lenken, welcher das Rückgrat des gesamten ÖPNV bildet. Gießen besitzt dabei mit seinem bestehenden Schienennetz, welches sternförmig zusammenläuft, eine gute Grundlage, und bietet viel Raum für Verbesserungen und lokale Erweiterungen (Regio-Tram-Konzept) dieses Netzes. Daneben sind aber auch der Stadtbus und der Überlandbus nicht zu vernachlässigen, auch wenn diese in ihrer Leistungsfähigkeit und Klimafreundlichkeit dem Schienenverkehr unterlegen sind. Der Busverkehr ist langfristig so zu gestalten, dass er überwiegend Zubringer für den schienengebundenen ÖPNV wird.

Verbesserungen für den ÖPNV wollen wir u. a. erreichen durch:

  • Die Einrichtung weiterer Bahnhaltepunkte im Stadtgebiet, wie an der Main-Weser-Bahn in Wieseck (Gießen Nord), an der Vogelsbergbahn und Lahn-Kinzig-Bahn im Bereich des Aulwegs und an der Vogelsbergbahn “Am alten Flughafen” und in Rödgen. Dazu braucht es an verschiedenen Stellen einen Ausbau der Bahninfrastruktur auf zwei Gleise, sodass sich die Züge in einem dichteren Takt begegnen können.
  • Die Einrichtung von Straßenbahnlinien als RegioTram, welche im innerstädtischen Bereich auf einem eigenen Schienennetz fährt und im Umland auf dem bestehenden. Dies würde ermöglichen, auch von weiter außerhalb direkt in die Innenstadt zu gelangen, ohne umständlich umzusteigen oder noch weite Fußwege zurücklegen zu müssen.
  • Eine Verdichtung des Stadtbusverkehrs mit mehr und möglichst CO2 neutralen Fahrzeugen, Linien und einem besseren Takt – als Übergangslösung bis zur möglichst zeitnahen Inbetriebnahme des Regio-Tram-Konzepts.
  • Eine Umstellung der Finanzierung des ÖPNV. Hier wollen wir insbesondere zwei Ansätze verfolgen: Zunächst ein Gießener Bürger*innen-Ticket in Anlehnung an das Prinzip von Schülerticket und Landesbediensteten-Ticket und perspektivisch den kostenlosen (vollständig steuerfinanzierten) ÖPNV. Auch wenn beim ersten Schritt die Einbindung in die Tarifsystematik des Rhein-Main-Verkehrsverbunds (RMV) zu berücksichtigen ist, gibt es für die Stadt Gießen als Gesellschafterin des RMV ausreichend Spielräume.
  • Die Prüfung der Machbarkeit einer Seilbahnstrecke z. B. vom Hauptbahnhof Richtung Süden verlaufend am Klinikum und dem Philosophikum vorbei.

Die Etablierung weiterer Bahnhaltepunkte, einer Regio-S-Bahn und einer RegioTram benötigen (leider) einigen zeitlichen Vorlauf – nicht zuletzt aufgrund des hohen planerischen Aufwands. Daher soll bzw. muss so schnell wie möglich damit begonnen werden auch handelt es sich hierbei um große infrastrukturelle Investitionen, die Gießen aus eigener Kasse nur schwerlich stemmen kann. Da es jedoch sehr hohe Fördermöglichkeiten von Bund und Land zu diesem Thema gibt, darf das nicht als Ausrede für Untätigkeit gelten.

MIV Reduzierung

(weniger Autoverkehr)

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Dadurch, dass Gießen über die höchste Studierendendichte Deutschlands verfügt, ist Gießen mittlerweile zwar die hessische Kommune mit einer der niedrigsten Autodichten (4,2 PKWs pro 10 Einw.). Dennoch bleibt neben dieser positiven Entwicklung die extreme Belastung mit Autoverkehr insbesondere durch Pendler*innen sowie Kund*innen des Gießener Handels bestehen. Die Ziele, zu einem klima- und umweltfreundlichen Verkehrssektor zu gelangen, sind nicht bloß dadurch erreichbar, dass Alternativen zum MIV ausgebaut werden. Gleichzeitig braucht es eine Verringerung der bequemen Möglichkeiten, mit dem Auto immer und überall mobil zu sein. Ansonsten besteht - wie von Verkehrswissenschaftler*innen häufig beschrieben – die Gefahr, dass zwar auch mehr zu Fuß, per Rad und mit dem ÖPNV verkehrt wird, der Autoverkehr aber nicht äquivalent abnimmt. Im Ergebnis hieße das, dass es mehr und nicht weniger Verkehr gibt, wodurch das Ziel einer Emissionsreduzierung verfehlt würde. Der Zielwert aus dem Bericht “Klimaneutrales Gießen 2035” sieht vor, dass „nur noch“ 18,7% aller Personen-Kilometer der Gießener*innen mit dem Kfz zurückgelegt werden um die Klimaneutralität ab 2035 zu schaffen.

Die massive Verringerung des Kfz-Verkehrs wollen wir u. a. erreichen durch:

  • Die kontinuierliche Reduzierung von Parkflächen für den PKW-Verkehr. Bis zum Ende der nächsten fünf Jahre soll mindestens ein Wegfall von insgesamt 5.000 PKW-Stellplätzen am Straßenrand erreicht sein. Weiterhin sollen keinen neuen Parkmöglichkeiten u. a. durch Parkhäuser geschaffen werden. Die freiwerdenden Flächen möchten wir entsiegeln und begrünen (Kampagnenidee: „5.000 neue Bäume für Gießen“), mit Fahrradstellplätzen versehen, oder in anderer Weise für eine Verbesserung der Aufenthaltsqualität, wie z. B. in der Plockstraße, nutzen.
  • Den Ausbau einer flächendeckenden Parkraumbewirtschaftung im gesamten Gießener Stadtgebiet, sowohl am verbleibenden Straßenrand als auch z. B. auf Uni-/THM-Gelände.
  • Den starken Ausbau von Carsharing und Mitfahr-Angeboten, die u. a. vom Umweltbundesamt als besonders hilfreich zum „Einüben autoarmen/-losen Mobilitätsverhaltens“ empfohlen werden. In anderen Städten wie z. B. Marburg, Kassel oder Karlsruhe ist die Carsharing-Nutzung um ein Vielfaches höher als in Gießen. In diesem Bereich folgt die Nachfrage in der Regel dem Angebot, so dass ein Ausbau des Angebots zu einer steigenden Nachfrage führt. Durch eine Umstellung des stadteigenen Fuhrparks (abgesehen natürlich von Sonderfahrzeugen) auf (E-)Carsharing kann das Angebot sehr effizient gesteigert werden, da eine Basis Nachfrage bereits garantiert ist und dennoch genügend Potential für eine Nachfragesteigerung verbleibt. Dazu sollten zeitnah Gespräche mit dem seit vielen Jahren in Gießen aktiven Carsharing-Dienstleister einfach-mobil/scouter (aus Marburg) geführt werden, um eine mögliche Kooperation zu besprechen. Dabei sollte darauf geachtet werde, dass vor allen Dingen Gebrauchtfahrzeuge, sowie E-Fahrzeuge zum Einsatz kommen. Dies bietet Menschen, die noch auf einen PKW angewiesen sind, die Möglichkeit, die E-Mobilität in ihrer Lebenssituation zu testen.
  • Die umfassende Einrichtung von Tempo 30 Bereichen, überall wo es gesetzlich möglich (ggf. Nutzung von Pilotgenehmigungen/Experimentierklauseln) und insbesondere dort wo es aufgrund des Lärmschutzes (vgl. Lärmaktionsplan Hessen, 3. Runde, S.92 ff.) oder der Verkehrssicherheit notwendig ist.
  • Das Aufstellen von Mitfahrbänken auch an den Stadträndern und den Ortsteilen von Gießen, um die Mobilität derer zu erhöhen, die kein Auto besitzen bzw. bewusst darauf verzichten und die Auslastung der oft nur einfach besetzten Kfz zu erhöhen.
  • Verzicht auf den vierspurigen Ausbau der Konrad-Adenauer-Brücke und aller weiteren, den PKW-Verkehr fördernden baulichen und planerischen Maßnahmen.

Dem Ausbau von Infrastruktur für E- oder H2-Fahrzeuge (für ÖPNV-Zwecke und Lieferverkehr sinnvoll/notwendig) möchten wir uns insbes. für eine Übergangszeit („Brückentechnologie“) nicht verschließen, jedoch muss an erster Stelle die Reduzierung/ Minimierung des Autoverkehrs stehen. Auch Autos mit „innovativen“ Antriebstechniken verbrauchen viele Ressourcen und Energie in der Herstellung, benötigen Platz und verursachen Feinstaub durch Reifenabrieb, Bremsanlagen, etc.

Sonstiges

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  • Kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit, Informations-/Beratungs-Kampagnen zur Förderung klimafreundlichen Mobilitätsverhaltens
  • (Finanzielle) Unterstützung von klimafreundlichen Verkehrsinitiativen und -gruppen (z. B. bei Veranstaltungen), ohne Einflussnahme
  • Einrichtung einer ausreichend dimensionierten und alle Kommunikationskanäle nutzenden Mobilitätszentrale (täglich geöffnet bzw. erreichbar) für alle CO2-freien/-armen Verkehrsarten (incl. Carsharing und ÖPNV) – mit der Option auf mehrere „Außenstellen“ in den Gießener Stadtteilen
  • Kontinuierliche und kostenlose Beratung und Information zu nachhaltigem Verkehrsverhalten in stadtteilbezogenen Servicestellen
  • Individuelle Umstellung auf klimafreundliches Verkehrsverhalten als Angebot der Volkshochschule
  • Kontinuierliche Beratungsangebote für Schulen (Lehrende und Schüler*innen)
  • Neupflanzung von mind. 5.000 Bäumen im bewohnten Stadtgebiet innerhalb der nächsten 5 Jahre als erste Kompensationsmaßnahme für restliche „Verbrenner“
  • Nutzung aller Fördermöglichkeiten zu nachhaltigen/klimafreundlichen/CO2-freien Mobilitätsformen (z.B. im Rahmen der Programme AGN-Nahmobilität des Landes Hessen und ähnlicher von Bund und EU) – die Stadt lässt seit Jahren Fördermöglichkeiten ungenutzt, weil sie entweder die verbleibenden (geringen) Eigenmittel nicht einsetzen möchte oder weil sie die personellen Ressourcen nicht hat, um sich um die Akquirierung der Fördermittel zu kümmern.
  • Schadstoff-Messstationen mit Display (mobil) - aufgestellt an stark befahrenen Straßen, um die Autofahrer zu sensibilisieren. Ggf. gleichzeitige Bewerbung von Mobilitätsalternativen wie z. B. Hinweis auf Mitfahr-Plattformen.

...und wie wir ihn gehen wollen

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Um den Verkehrs-/Mobilitätssektor in Gießen in Richtung Klimaneutralität bei gleichzeitiger Berücksichtigung von sozialer Gerechtigkeit wollen wir mit den vielen Initiativen und Gruppen zusammenwirken , die sich mit der Verbesserung der Verkehrssituation in Gießen befassen und dafür aktiv eintreten.

Es gibt bereits viele gute Ansätze zu einer Mobilität, die den von uns angestrebten Prinzipien entspricht. Überwiegend sind diese Bemühungen und Konzepte aus der Bevölkerung von Gießen und Umgebung heraus in Eigeninitiative entwickelt und über verschiedene Formate auf die politische Tagesordnung gebracht worden.

Wir möchten die hier schon bestehenden Vorschläge aufgreifen und auf direktem Weg ins Stadtparlament tragen. Den eigenständigen Initiativen und Verbänden, die schon viele Ideen entwickeln und vorantreiben danken wir; es braucht sie auf jeden Fall weiterhin, wenn die klimagerechte Mobilitätswende in Gießen gelingen soll. Insbesondere stellen wir uns hinter die Bürger*innenanträge zu Fahrradstraßen auf dem Innenstadtring und zur Straßenbahn in Form einer RegioTram, die essentielle Bausteine für eine Verkehrswende sind.

Daneben braucht es die Zusammenarbeit mit den großen verkehrserzeugenden Einrichtungen, wie den Hochschulen, dem RP, dem Klinikum und dem städtischen Gewerbe, etc. mit denen konkrete Maßnahmen zur Reduzierung des MIV und zur Vermeidung von Verkehrsaufwand erarbeitet werden müssen. Hierbei gilt es auch, die städtischen Einrichtungen erreichbar zu halten; u. a. indem konkurrenzfähige Ersatzangebote zum Autoverkehr geschaffen und gefördert werden.