Stadtentwicklung - Gießen gemeinsam gestalten Gigg

Stadtentwicklung

Einleitung

Bevölkerungswachstum ist kein Selbstzweck – Lebensqualität in Gießen muss in den Vordergrund gerückt werden
Gießen ist in den letzten 10 Jahren enorm gewachsen, die Einwohnerzahl ist um mehr als 10.000 Mitbürger*innen gestiegen. Immer neue Wohngebiete wurden geplant und gebaut – von der Bergkaserne, über das RKH-Gelände bis zur Lahnstraße etc., darunter die weit überwiegende Mehrheit im mittel- bis hochpreisigen Segment, was eher die Bedürfnisse der Finanzinvestoren befriedigt hat als den Bedarf an günstigem Wohnen in unserer Stadt.
Klar ist, dass dieses Wachstum auch in Gießen an seine Grenzen stößt – das Ziel, aus unserer Stadt eine Großstadt mit mehr als 100.000 Einwohner*innen zu machen, um dadurch u. a. erhöhte Schlüsselzuweisungen durch das Land zu erhalten, ist kein gutes und richtiges Ziel. Dafür ist die Fläche unserer Stadt einfach nicht groß genug und dafür wurden parallel zu dem starken Wachstum keine Lösungen für die damit einhergehenden Probleme gefunden (Pkw-Verkehr, Belastungen des Mikroklimas, Verbauung von Kaltluftschneisen, fehlende öffentliche Aufenthaltsflächen etc.).
Nach vielen Jahren des Wachstums ist es unserer Überzeugung nach daher Zeit für einen grundlegenden Wandel in der Stadtplanung und -entwicklung - weg von der investorenzentrierten Stadtentwicklung („Gießen ist ein El Dorado für Investoren“), hin zu einer bürger*innenfreundlichen Stadtplanung. Statt die Bedürfnisse weniger, gut mit Politik und Verwaltung vernetzter Investoren ins Zentrum der Stadtentwicklung zu stellen, muss es unserer Überzeugung nach jetzt darum gehen, neben dem Ziel der Klimaneutralität die Lebens- und Aufenthaltsqualität aller Gießener*innen zum Ankerpunkt der zukünftigen Planungen zu machen. Der Flächenfraß muss auch in Gießen ein Ende haben – nicht alle Menschen, die in Gießen wohnen wollen, werden dies perspektivisch auch tun können. Vielmehr gilt es, die Kooperationen mit Umlandgemeinden zu stärken und diese besser über entsprechende verkehrliche Strukturen (RegioTram) an Gießen anzubinden.
Die Stadtplanung muss daher die Lokomotivfunktion übernehmen, um die Veränderungsnotwendigkeiten in Planungsprozesse zu überführen. Dazu braucht es klare Leitlinien und inhaltliche Vorgaben.
Was das für Gigg konkret bedeutet, lesen Sie im Folgenden.

Umstrukturierung der Verwaltung –

Schaffung eines Transformationsdezernats

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  • Die mit der Klimaneutralitätsverpflichtung bis 2035 verbundenen Veränderungsprozesse in Gießen (natürlich nicht nur bei uns) sind gewaltig und werden unsere Stadt grundlegend verändern (müssen). Auch der Vorsitzende des BID Seltersweg Heinz-Jörg Ebert spricht (für den Seltersweg) als Konsequenz der Krise des Einzelhandels von Transformationsprozessen und Veränderungsbereitschaft, die den Eigentümern der Gebäude abverlangt würden.
  • Wir sind der Überzeugung, dass es der Bündelung aller Kräfte bedarf, um diese Veränderungen zu bewältigen. Daher sollte die Stadt Gießen ein Transformationsdezernat schaffen, dessen primäre Aufgabe es ist, genau diese Veränderungsprozesse zu initiieren, zu strukturieren, zu moderieren und zu kontrollieren. Die Schaffung eines solchen Dezernats ist weit mehr als eine begriffliche Umwidmung alter Strukturen, sprich alter Wein in neuen Schläuchen. Sie bietet vielmehr auch für die Stadtverwaltung die Gelegenheit, ihre Strukturen dem zentralen Thema der nächsten Jahrzehnte anzupassen, effizientere Einheiten zu schaffen und Reibungsverluste zu vermeiden.

Entwicklung klarer Leitlinien und Vorgaben für die Investitionen

(Masterplan 2035)

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  • Als Erstes muss in Angriff genommen werden, was schon längst hätte in Angriff genommen werden müssen – einen auf aktuellen Daten basierenden und den Anforderungen einer Stadt mit einer Klimaneutralitätsverpflichtung genügenden Masterplan zu entwickeln. Die aktuelle SPD-CDU-Grünen-Koalition hatte dies zwar in ihrem Vertrag 2016 vorgesehen, aber keinerlei Anstrengungen unternommen, dieses Vorhaben auch umzusetzen. Von dem jahrelangen Verzicht auf einen solchen Masterplan profitierten in erster Linie die Investoren, die dann die Flächen entwickeln konnten, ohne sich um Leitplanken einer 2035Null-Stadt kümmern zu müssen. Und als Folge einer solchen „leitplankenlosen“ Politik wurden dann im US-Depot vorhandene Schienen rausgerissen, statt diese für einen Ausbau des ÖPNV zu nutzen, oder es wurde ein autoarmes Projekt in der Bergkaserne vor die Wand gefahren, weil es niemand wirklich realisieren wollte (die Reduzierung der Stellplatzvorgaben und damit die Entlastung des Investors wurde aber natürlich beibehalten).
  • Grundsätzlich fordern wir: Es muss wieder der Primat der Politik gelten - das heißt die Stadtpolitik macht die Vorgaben, unter denen Investitionen in unserer Stadt möglich sind. Und diese Vorgaben werden gemeinsam mit den Bürger*innen, aber natürlich auch mit den sonstigen relevanten gesellschaftlichen Gruppen (Hochschulen, Wirtschaft, etc.) entwickelt, so dass gemeinsame Ziele eines möglichst breiten Teils der Gießener Stadtgesellschaft sind, nach denen die Entwicklung unserer Stadt erfolgt.

Stärkere Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern

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  • Dementsprechend wird es ein wichtiges Ziel unserer Politik sein, die Bedürfnisse der Anwohner*innen stärker in den Fokus der Stadtentwicklung zu rücken. Hierzu fordern wir, einmal jährlich in allen Gießener Stadt- und Ortsteilen einen öffentlichen Termin zu veranstalten, in dessen Rahmen die anstehenden kurz- und mittelfristigen Pläne für die jeweiligen Gebiete und Flächen vorgestellt und diskutiert werden.
  • Weitere Forderungen zur Bürgerbeteiligung (siehe separater Text).

Erhöhung der Lebens- und Aufenthaltsqualität

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  • 2019 schrieb der Deutsche Städte- und Gemeindebund: „Die Lebensqualität in Städten und Gemeinden ist zu einem großen Standortfaktor geworden. Die Bewohner möchten sich an ihrem Wohnort wohlfühlen und sich vom stressigen Alltag erholen können. Wichtiger Faktor für höhere Lebensqualität wird neben effizienter Infrastruktur, vielfältigen Kulturveranstaltungen häufig auch ein gutes Angebot an Naherholungsflächen in der Stadt genannt. Denn städtisches Grün bietet wertvolle Flächen für Freizeit, Bewegung und Sport. Die grünen Lungen in Kommunen tragen zum Stressabbau bei und fördern die Gesundheit von Jung und Alt.“
  • Aus unserer Sicht hat Gießen hier einen erheblichen Nachholbedarf. Zum Beispiel im Südviertel gibt es außer auf Kinderspielplätzen viel zu wenige Möglichkeiten der Begegnung im öffentlichen Raum. Daher ist hier die Entwicklung eines Bürger*innenparks zwischen Wilhelmstraße und Leihgesterner Weg ein wichtiger Ansatz zur Verbesserung der Situation. Die dortigen Flächen stehen für eine Bebauung nicht zur Verfügung und werden aktuell in erster Linie von vielen Hundenbesitzer*innen genutzt. Hier bietet sich eine einmalige Gelegenheit, ein fehlendes Element der Stadtplanung voranzutreiben. Auch dies sollte von Beginn an unter Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger im Südviertel erfolgen.
  • Ähnliche Flächen sollten im gesamten Stadtgebiet geprüft werden – auch kleinere Parkflächen können und sollten zur Erhöhung der Lebensqualität genutzt werden.

Wohnungsbau -

Flächen nicht nur für wenige Investoren /

Sozialen Wohnungsbau stärken

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  • In den letzten Jahren ist immer wieder kritisiert worden, dass es für nicht-gewerbliche Investoren mehr oder weniger unmöglich ist, in Gießen an Flächen für eigene, z. T. auch sehr interessante Projekte (z. B. zum generationenübergreifenden Wohnen) zu kommen. Auch dies ist etwas, was zwingend geändert werden muss. Deshalb sollen alternative Wohnformen gefördert werden, insbesondere solche, die Individualflächen zugunsten von Gemeinschaftsflächen minimieren, da
  • bei gleicher Wohnfläche in alternativen Wohnformen mehr Menschen wohnen als in herkömmlichen Ein- oder Mehrfamilienhäusern.
  • sie jedes Wohnquartier bereichern
  • Wir wollen daher neuen und kleineren Akteuren wie Genossenschaften, Gemeinschaftsvorhaben von Eigentümern (Baugruppen) und gemeinnützig orientierten privaten Investoren, die neuen sozialen Wohnraum schaffen wollen, den Zugang erleichtern. Hierzu sollen Bürgschaftsmodelle geprüft werden.
  • Eine Folge der investorengesteuerten Stadtentwicklung war bzw. ist es darüber hinaus, dass sich ein Großteil der gebauten Wohneinheiten nicht am Wohnungsbedarf orientiert hat (der viel stärker im günstigen Mietwohnungsbau gelegen hätte), sondern am Investitionsbedarf derjenigen Personen, die ihr Geld in Immobilien anlegen wollten bzw. angelegt haben Dementsprechend wurde in Gießen in den letzten 10 Jahren weit überwiegend im mittel und hochpreisigen Segment gebaut und Forderungen nach Sozialquoten (d. h. nach Vorgaben für bestimmte Anteile von Sozialwohnungen an den insgesamt gebauten Wohneinheiten) in der Vergangenheit von der Koalition immer abschlägig beschieden. Andere Städte wie Freiburg, Ludwigshafen, Norderstedt, Lübeck oder Wien haben längst vorgemacht, dass es auch anders geht, ohne dass dadurch der Wohnungsbau verhindert worden wäre.
  • Wir fordern daher regulierende Maßnahmen durch die Stadt:
  • Spekulationen und Leerstand verhindern (z. B. Residenzpflicht, Vermietungsgebot, Baugebot, etc.);
  • Generelles städtisches Vorkaufsrecht für freie Flächen und Bestandsgebäude (Gründung eines Bodenfonds);
  • Erbpacht statt Grundstücksverkauf: “das kommunale Liegenschaftsvermögen ist als Grundlage für künftige Entwicklungen und Generationen zu erhalten und zu erweitern. Die Städte brauchen die Trumpfkarte des Bodenbesitzes angesichts der anhaltenden Dynamik auf den Immobilienmärkten (Deutsches Institut für Urbanistik, 2021)“.
  • Grundsätzlich sollen daher ab sofort alle städtischen Grundstücke nur noch per Pacht vergeben und deren Nutzung an ökologische Kriterien geknüpft werden
  • Architektenwettbewerbe mit Schwerpunkt flächensparendes Bauen;
  • Einrichtung einer kommunalen Wohnungstauschbörse; Umzugsprämien für Kleinhaushalte, die eine größere Wohnung frei machen bzw. Unterstützung von älteren Menschen beim Umzug in eine kleinere Wohnung;
  • Und wir fordern konkrete bauliche Maßnahmen:
  • Schließung der restlichen Baulücken (nach einer Prüfung, ob einige Baulücken als städtische Grünanlagen genutzt werden können bzw. sollen);
  • Nutzung der Vertikale (z. B. Wohnungen über flachen Gewerbebauten, Schulen, Garagenanlagen, Aufstockung etc.);
  • Grün am Bau (z.B. begrünte Dächer und Fassaden);
  • Die Unterstützung von innovativen Grundrissen und Bauformen (es gibt weltweit viele Beispiele für platzsparendes Bauen; sie sollten bekannt gemacht und unsere üblichen Wohnungsgrundrisse zur Diskussion gestellt werden.)

Folgen der Coronakrise insbesondere auf den Markt der gewerblichen Immobilien in Gießen prüfen

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  • Bei allen Problemen, die die Coronakrise mit sich bringt bzw. bereits gebracht hat, ist sie auch ein deutlicher Beschleuniger der Digitalisierung und damit des mobilen Arbeitens geworden. Viel mehr Menschen konnten bzw. mussten 2020 coronabedingt von zuhause arbeiten als noch 2019. Und viele Arbeitnehmer*innen, aber auch gewerbliche oder institutionelle Arbeitgeber stellten fest, dass dies häufig auch weitaus besser klappte als gedacht.
  • Infolgedessen gewinnen flexiblere Arbeitskonzepte erheblich an Bedeutung – Konzepte, in denen Beschäftigte nicht mehr fünf Tage in der Woche ins Büro kommen, sondern vielleicht nur noch zwei oder drei Tage.
  • Dieser - aller Voraussicht nach unumkehrbare - Trend wird auch klare Auswirkungen auf den Immobilienmarkt haben. Viele Unternehmen und Verwaltungen sind bundesweit bereits dabei, ihren Flächenbedarf zu prüfen bzw. nach unten anzupassen. Die entsprechenden Folgen für Gießen sind noch nicht final abschätzbar. Dennoch ist davon auszugehen, dass der Bedarf für Gewerberäume tendenziell sinken wird, während im Wohnungsbau eher etwas größere Einheiten nachgefragt werden dürften. Diese Entwicklungen stellen auch die Stadt Gießen vor die Aufgabe, die Planungen für weitere Gewerbe- und Wohngebiete dahingehend zu prüfen, welche Auswirkungen damit verbunden sind bzw. welche Potenziale zum Beispiel für die Umwidmung von gewerblichen Immobilien in Wohnraum vorhanden sind. Nur durch eine sorgfältige Prüfung dieser Entwicklung kann verhindert werden, dass in den kommenden Jahren die Leerstände der Zukunft produziert werden.

Nachhaltige Aufwertung von Grünflächen und Wäldern

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  • Grünflächen spielen eine wesentliche Rolle bei der Bekämpfung der Klimafolgen, die auch auf Gießen zukommen werden. Dementsprechend ist es für den Erhalt der Lebensqualität in unserer Stadt zwingend, die Bedeutung von öffentlichem Grün in der Stadtplanung anzuerkennen und umzusetzen.
  • Förderung und Unterstützung für den Aus- und Aufbau sowie Betrieb von Bürger*innen-Gärten und -Anbauflächen (Urban Gardening Projekte) in den Parks und Grünanlagen.
  • Ausbau des Baumbestands in der Stadt (z. B. pflanzt Düsseldorf bis 2025 für jede/n Einwohner*in einen zusätzlichen Baum, ebenso für jedes neugeborene Kind) mit dem Fokus auf „klimafesten“ Arten (Bäume sollten hohes C02-Bindungspotenzial besitzen, hitzeresistent sein etc. (Siehe dazu auch Programm-Teil "Verkehrswende" - "5.000 neue Bäume für Gießen")
  • Städte wie Andernach machen es vor – die essbare Stadt:
  • Unterstützung der Errichtung von Hochbeeten auf Brachflächen, Parkplätzen und ungenutzten Baugrundstücken,
  • Förderung von Gemeinschaftsgärten - Bürger*innen-Projekte zur gemeinschaftlichen Garten- und Landwirtschaftsnutzung.
  • Verpachtung von ungenutzten, brachliegenden Flächen an landwirtschaftliche Bürger*innenprojekte (wie z. B. Solidarische Landwirtschaft).
  • Schaffung von Kälteinseln
  • Die Stadt muss besonders aufgeheizte bzw. Hitzeanfällige Areale in der Stadt identifizieren und diese Hotspots durch Begrünung, Entsiegelung etc. entschärfen bzw. in klimafreundliche Areale umwandeln.

Aktive Rolle der Stadt Gießen beim Erwerb von Grundstücken

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  • Eine entscheidende Frage ist die, welche Rolle die Stadt Gießen beim Erwerb von Flächen spielen kann bzw. sollte. Generell ist es ein wichtiger Ansatz, dass die Stadt ihre Handlungsmöglichkeiten auch in Richtung Klimaneutralität durch den Erwerb von Grundstücken ausbauen kann bzw. sollte. Nur dadurch wird es möglich, in der anschließenden Planung und Bebauung weitergehende zivilrechtliche Vereinbarungen zu treffen – eine Chance, die in den vergangenen Jahren von der Stadt Gießen weitestgehend vergeben wurde.
  • Es sollte daher geprüft werden, inwieweit auch in Gießen eine kommunale Politik der Grundstücksbevorratung sinnvoll und erforderlich ist, um die Vorgaben einer 2035Null-Stadt effizienter umsetzen zu können.

Vorgaben in der Bauplanung

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  • Der gesamte Gebäudesektor war 2017 für ca. ein Drittel des CO2-Ausstoßes in Deutschland verantwortlich. Dementsprechend ist die klimagerechte Bauleitplanung bei der Umsetzung des Klimaschutzes vor allem im Sektor Neubau der wirksame Hebel der lokalen Klimapolitik. Alle zukünftig geplanten und fertiggestellten Gebäude und Baugebebiete werden Gießen für viele Jahrzehnte nicht nur architektonisch und stadtplanerisch prägen, sondern auch in Bezug auf ihre Klimarelevanz. Da eine Nachbesserung immer sehr viel teurer ist als eine präventive Berücksichtigung der entsprechenden Klima- und Nachhaltigkeitskriterien, muss es Ziel einer zukunftsweisenden Stadtplanung sein, den CO2-Fußabdruck aller zukünftig geplanten und gebauten Gebäude zu minimieren. Dies gilt nicht nur für den Energiestandard der Gebäude, sondern auch für die Begrünung, die Außenanlagen, die Fläche, die für Autos benötigt wird, die Nutzung des Areals für die Gewinnung regenerativer Energien (Photovoltaikanlagen auf den Dächern, Begrünung von Flachdächern etc.).
  • Hier tragen über die aktuellen KfW-Standards hinausgehende Vorgaben für die Energieeffizienz der Gebäude ebenso bei wie eine Nutzung von Dachflächen zur Stromerzeugung aus Sonnenenergie entweder im Eigenbetrieb oder auf der Basis von Contracting-Modellen. (weitere Ausführungen im Energieteil)
  • Neubaugebiete müssen künftig so geplant werden, dass sie sich komplett mit Wärme und weitestgehend mit Strom selbst versorgen können. Wärme z. B. durch dezentrale Wärmepumpen und Solarthermieanlagen oder durch ein quartiersbezogenes Wärmenetz, das sich aus erneuerbaren Energien speist. Verbrennerheizungen jeglicher Art werden im Neubau (auch außerhalb von Neubaugebieten soweit umsetzbar) verboten. Neben PVAnlagen müssen insbesondere Quartiersspeicher geplant werden, die zu einer höheren Strom-Eigenversorgungsquote des Quartiers beitragen und netzdienliche Leistungen erbringen können.
  • Generell gilt: Die Stadt Gießen sollte klare Spielregeln entwickeln, an denen sich aktuelle und zukünftige Investoren, Bürger*innen und Stadtverwaltung orientieren können, wenn es darum geht, die Klimaneutralitätsverpflichtung in konkreten Projekten umzusetzen.
  • Ein wesentlicher Aspekt einer klimaangepassten Bauplanung wird die Anbindung der Neubauprojekte an die Verkehrsmittel des Umweltverbundes (Bahn, Bus, Fahrrad) spielen.
  • Darüber hinaus muss ein Hauptaugenmerk den verwendeten Baumaterialien gelten bzw. entsprechenden Vorgaben
  • Metalle und mineralische Baustoffe (z. B. wie Beton) sind mit einem hohen Energieaufwand bei der Herstellung verbunden, nachwachsende Baustoffe wie Holz mit einem geringen - Neubauten bis zu zwei Vollgeschossen sollten daher in Holz- oder Holz-Hybridbauweise erstellt werden.
  • Verstärkter Einsatz von Recyclingmaterialien – z. B. von Recyclingbeton, bzw. auch von klimaneutralen Baumaterialien (z. B. bei der Dämmung) und deren Verwendunggenauer betrachtet werden.
  • Berücksichtigung von Rückbaubarkeit von Gebäuden in der Planung
  • Verbot von Schotterflächen – z. B. beim Finanzamt, aber auch privat
  • Zwingender Erhalt bzw. Ausbau von Kaltluftentstehungsgebieten (Äcker und Wiesen) und Kaltluftschneisen
  • Begrünung von Flachdächern sowie von mindestens 30 % der Fassaden, um das Stadtklima zu verbessern
  • Vorschrift zur Verwendung heller Farben, um die Aufheizung zu minimieren
  • etc.

Gewerbeansiedlung

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  • Auch bei der Gewerbeansiedlung herrscht der Eindruck vor, dass es viel stärker darauf ankommt, über welche Kontakte die Investoren verfügen (z. B. im ehemaligen US-Depot), als darauf, welche Unternehmen das 2035Null-Gießen gerne ansiedeln möchte.
  • Wenn Gießen eine der führenden Mittelstädte für die Entwicklung und Umsetzung klimagerechter Lösungen in der Stadtentwicklung werden soll, bedeutet dies natürlich auch, dass die Stadt klare Vorgaben entwickeln muss, die Unternehmen berücksichtigen müssen, die sich auf dem Gebiet der Stadt ansiedeln möchten.

Stadt als Bauträgerin

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  • Wichtig für die weitere klimagerechte Stadtentwicklung ist es, dass die Stadt selbst ihrer Vorbildfunktion gerecht wird – sei es dort, wo sie selbst als Bauträgerin auftritt, sei es indirekt über ihre Beteiligungen (Wohnbau, Mittelhessische Wasserbetriebe, Stadtwerke etc.).
  • Auch hier muss es klare Leitlinien geben, nach denen die Stadt als Bauträgerin tätig wird bzw. Vorgaben, die die Stadt berücksichtigt, wenn sie als Bauträgerin auftritt.

Flächenversiegelung stoppen

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Gemeinsam mit Wasser und Luft ist der Boden die Grundlage für das Leben von Menschen, Tieren und Pflanzen. Boden bindet Kohlenstoff, steuert das Klima mit und liefert Lebensmittel.

Bodenschutz ist auch elementar für den Klimaschutz. Die 2,5 Milliarden Tonnen organisch gebundener Kohlenstoff, die landwirtschaftliche Böden allein in Deutschland speichern, sind außer für die Bodenfruchtbarkeit auch von großer Bedeutung für das Klima. Diese CO2-Senke lässt sich durch standortangepasste und nachhaltige Bewirtschaftung übrigens noch steigern. Demgegenüber ist die Überbauung von Böden jedoch eine einmalige und finale Nutzung, da die Neubildung von fruchtbarem Boden i. d. R. mehrere tausend Jahre dauert.

Dennoch werden in Hessen weiterhin jeden Tag 2,5 ha Bodenfläche versiegelt - der Flächenverbrauch und die ausufernde Flächenversiegelung schreiten ungebremst voran. Bei der Planung von Logistikzentren und überdimensionierten Gewerbegebieten überbieten sich die Kommunen gegenseitig mit der z. T. vagen Hoffnung, Arbeitsplätze zu schaffen und Gewerbesteuereinnahmen zu generieren. Dabei werden diese Hoffnungen häufig enttäuscht.

Die Folgen für diesen Burn-out der Flächen sind enorm.

  • Durch die Versiegelung der Flächen verliert der Boden seine Fähigkeit, Wasser aufzunehmen und Kohlenstoff zu speichern.
  • Gleichzeitig hat dieses einen negativen Einfluss auf das Mikroklima, weil an Sommertagen die Hitze nicht absorbiert werden kann und so die Umgebungstemperatur deutlich erhöht wird.
  • Wertvolle landwirtschaftliche Flächen und Wälder werden vernichtet – mit massiven Auswirkungen auf die Frischluftschneisen, insbesondere für die dicht besiedelte Stadtbebauung.
  • Auch das Artensterben schreitet voran, da wichtige Lebensräume verloren gehen.

Auch in der Stadt Gießen werden Wohnquartiere und die Ausweisung weiterer Gewerbeflächen vorangetrieben. Die Ausweisung von Grünflächen im Vergleich zur Wohn- bzw. Gewerbefläche spielt demgegenüber eine ungeordnete Rolle.

Die Verantwortung für den Erhalt der Ressource Boden muss daher stärker in den Fokus der Stadtplanung gerückt werden – mittelfristig muss der Flächenfraß auch in Gießen ein Ende haben. Ein gutes Vorbild liefert hier die Stadt Köln, wo der Netto-Flächenverbrauch bis 2030 im gesamten Stadtgebiet auf Null reduziert werden soll, was bedeutet, dass für jeden neuen Flächenverbrauch (z. B. durch Gebäudebau, Straßenbau etc.) an anderer Stelle ursprünglich bebaute Fläche wieder in Grünfläche umgewandelt werden muss.

Daher fordert Gigg auch für Gießen bei der Ausweisung von Wohn- und Gewerbegebieten sowie Verkehrsflächen einen sorgsamen Umgang mit der Ressource Boden.

  • Schrittweise Minimierung des innerstädtischen Flächenverbrauchs auf Netto-Null bis 2030,
  • Erstellung eines öffentlich einsehbaren Leerstandskatasters von Wohnhäusern und Gewerbebrachen,
  • Wo möglich Umwidmung von Büroflächen in Wohnraum (als Reaktion auf den geringeren gewerblichen Flächenbedarf durch Digitalisierung und mobiles Arbeiten),
  • Aufstockung von Lebensmitteldiscountern und sonstigen gewerblichen Gebäuden,
  • Bessere Vernetzung bzw. Absprachen mit Umlandgemeinden bei der Ausweisung von Gewerbegebieten (interkommunale Zusammenarbeit),
  • Beim Wohnungsbau sollen mindestens 50% der neuen Wohnungen durch eine intelligente und stadtteilspezifische Kombination aus moderater Hochhausbebauung, Nachverdichtung, Dachaufstockungen, Alley Flats und Flächensuffizienz realisiert werden.

Klimaanpassungsstrategien

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  • Klar ist, dass sich der Klimawandel nicht mehr vollständig aufhalten lässt, sondern auch in Gießen in den nächsten Jahren massive Folgen mit sich bringen wird. Dabei werden v. a. diezunehmende Trockenheit, eine weitere deutliche Erhöhung der Durchschnitts- aber auch der Höchsttemperaturen im Sommer sowie die Zunahme von Starkniederschlägen sich ganz konkret auf die Menschen auswirken.
  • Die Konsequenz auch für Gießen wird es sein, so schnell wie möglich entsprechende Maßnahmen zur Abmilderung dieser und weiterer Folgen zu entwickeln. Hierzu gehört z. B. Konzepte und Maßnahmen zur
  • Schaffung und Vernetzung von Kälteinseln in der Stadt,
  • Entsiegelung, Begrünung und Beschattung öffentlicher Flächen,
  • Gewinnung von Flächen für das dezentrale Nutzen, Versickern oder Rückhalten und Sammeln von Niederschlagswasser (sog. Retentionsflächen),
  • Rückhaltung von Niederschlagswasser von Dachflächen öffentlicher Gebäude und Anlagen
  • sowie zum Erhalt und zum deutlichen Ausbau von Straßenbäumen und öffentlichem Grün.
  • Zu diesen Maßnahmen zählt auch eine Bezuschussung von entsprechenden Aktivitäten von privaten und/oder gewerblichen Grundbesitzern, da die langfristigen Kosten des Klimawandels für die Stadt sicher deutlich höher ausfallen werden als die für eine Bezuschussung erforderlichen Mittel.

Weitere Themen im Zusammenhang mit der Stadtplanung und Stadtentwicklung

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  • Immer wieder wird von Naturschutzorganisationen in Gießen moniert, dass beschlossene Ausgleichsmaßnahmen entweder gar nicht oder nur teilweise umgesetzt werden. Eine wichtige Forderung ist daher eine transparente Dokumentation und konsequente Kontrolle von Ausgleichsmaßnahmen durch entsprechende digitale Aufbereitung der Projekte und den Maßnahmen.
  • Ganz wichtig: Gießen braucht kurzfristig klimatische Leuchtturmprojekte wie z. B. eine Nullenergie-Siedlung in Gießen und/oder entsprechende gewerbliche Vorzeigeprojekte. Die Entwicklung des Gail’schen Geländes bietet hierfür eine zeitnahe Gelegenheit. Auch in Gießen gibt es mit Sicherheit Menschen, die ihre Gebäude im Passivhausstandard oder sogar klimapositiv bauen oder sanieren möchten – hier gilt es, zusätzliche Anreize für solche Bauwilligen zu schaffen.
  • Wir sprechen uns zudem für eine Beratungsstelle für private und gewerbliche Bauherren aus, die diese dabei unterstützt, die Vielzahl and Fördermöglichkeiten und Vorschriften für klimafreundliches Sanieren und Bauen zu durchschauen bzw. richtig zu nutzen.